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Gespräch mit dem 46. Bremer Förderpreisträger Patrick Peljhan

Auf den Spuren einer Migrantenkultur

Gespräch mit dem 46. Bremer Förderpreisträger für Bildende Kunst: Patrick Peljhan

Die Begegnung mit Patrick Peljhan setzt ganz früh ein. Er wird als Baby von den stolzen Eltern hochgehalten. Tobend staunt er als freundlich frecher Junge durch das Gastarbeiterleben daheim sowie die Erwachsenenwelt der Verwandten in Kroatien und Polen. Typisch wackelige Heimvideoaufnahmen aus den frühen 1990er Jahren sind es, die der Künstler auf VHS-Bändern bei seinem Vater entdeckt, dann digitalisiert hat und nun in lakonisch kommentierten Ausschnitten auf einem historischen Fernsehungetüm in der Städtischen Galerie zeigt. Das Betrachten, Anhören und Nachdenken über solche materiellen wie immateriellen Überbleibsel eines gelebten Lebens führen ihn wie schon im Dokumentarfilm „Willkommen in Deutschland“ (2021) zum Nachdenken über das Erinnern – also zur Auseinandersetzung mit Identität, indem die Gegenwart als Zukunft der Vergangenheit gedacht und empfunden wird.

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Patrick Peljhan und sein "Memory"-Werk in der Städtischen Galerie. Foto Referat 1

Aus 15 Stunden Videomaterial ist nun der 9:34 Minuten lange Film „Memory Blue“ entstanden und wird ergänzt von „Memory Drawings“, einer Serie von Zeichnungen mit weißem Acrylstift auf blauem Tonpapier. Dafür wurde dem HfK-Alumnus Patrick Peljhan der 46. Bremer Förderpreis für Bildende Kunst zugesprochen. In der dazugehörigen Ausstellung treffen wir uns mit dem Preisträger. Umhüllt von lockenden Düften aus Laura Pientkas gegenüber platziertem Werk „Royal Flush“, ein in Gold glasierter Keramik-Dickdarm, der Schokolade ausscheidet, die in einem Temperiergerät flüssig gehalten wird. Trockenfrüchte zum Eintauchen liegen bereit ...

... hmm, süß, sauer: lecker. Solche Reize passen hier ja gut zu deinem Versuch, dich in die Kindheit zurückzuversetzen, die nur bruchstückhaft zu erinnern ist.

Meine Reise in all diese Aufnahmen ist eine des Wiederentdeckens und Neuentdeckens, denn vieles hatte ich noch nie vorher gesehen. Teilweise kann ich mich daher nicht mit der Figur im Film, die ich sein soll, identifizieren. Es könnte auch jemand anders sein. Aus dieser Erfahrung und unter der Fragestellung „Was bedeuten Erinnerungen für mich“ ist der Film entstanden. Ich erinnere mich beispielsweise an unseren Kroatienbesuch, an Gerüche von Mokka-Kaffee, gebratenem Hähnchen, bestimmte Ereignisse, nicht aber an die Aufnahmen. Ich wusste gar nicht, dass mein Vater da gefilmt hat.

Hast du etwas Neues von dir erfahren bei der künstlerischen Arbeit?

Ich habe neu darüber nachgedacht, warum ich Kunst mache, was ich als meine Aufgabe und Berufung ansehe und was eigentlich Kultur für jemanden wie mich ist, der nirgendwo richtig dazugehört, da er zwischen verschiedenen Kulturen aufgewachsen ist. Ich denke, da entsteht eine eigene Kultur, die man Migrantenkultur nennen könnte. Diese Erkenntnis ist das Ergebnis meiner Arbeit an „Memory Blue“. Es war der Versuch, meine eigene Kultur im Zusammentragen von Erinnerungen und verschiedenen kulturellen Einflüssen zu definieren.

Und wer am Ende deiner künstlerischen Laufbahn alle deine Werke anschaut, hat der was von dir verstanden?

Hoffentlich! So möchte ich Leute ermutigen, mal bei sich auf Spurensuche zu gehen und zu gucken, was sie mit anderen verbindet. In den Videos meiner Familie habe viele Freunde, etwa türkische und portugiesische Gastarbeiterkinder, einiges von dem wiedererkannt, was sie aus ihrer Kindheit und Jugend kennen, etwa die Szenen, wenn Oma, Opa oder Papa eine Satellitenschüssel auf dem Balkon anbringen, um Nachrichten aus der Heimat gucken zu können. Geradezu symbolische Szenen.

Du versuchst durch die Video-Bilder dein Gedächtnis zu erweitern?

Genau. Dabei kommt es zu Verknüpfungen von den Sequenzen, zu denen es keine Bilder in meinem Kopf gibt, und Erinnerungen, zu denen es keine Videobilder gibt. Offen bleibt immer dieses Dazwischen, das befremdet und Interesse weckt, sich ein eigenes Bild zu all den aufgezeichneten Bildern zu verschaffen.

Deswegen hast du beim Videogucken auch gezeichnet?

Der blaue Grund meiner Zeichnungen bezieht sich auf den Moment, wenn der Fernseher an, aber noch keine Bildquelle angeschlossen ist, dann strahlt er halt blau und das steht fürs Warten, bis die Bilder endlich kommen. Also genau mein Moment, wenn ich die Videos betrachte und überlege, ob ich aus meiner Perspektive – zumindest vage – auch eigene Bilder dazu in mir wachrufen kann. Was mir dann zu den einzelnen Videosequenzen in den Kopf kommt, banne ich sofort als One-Line-Drawings aufs blaue Papier ...

... im Stile von Écriture automatique, also automatisches Malen – bei dir ist da immer der Anfangs- auch der Endpunkt der zeichnerischen Erinnerungsbewegung?

Das ist ein guter Prozess, um Erinnerungen aus sich heraus zu befördern, weil die flüchtig sind, assoziativ. Manchmal habe ich auch Bilder nochmal gemalt, in der Hoffnung, dass dabei etwas Neues hinzukommt, was mir dann gerade wieder einfällt.

Aus dem Unterbewusstsein aufs Papier. Kannst du ein Beispiel nennen?

Ich konnte mich nicht erinnern, dass ich bei einem Polenbesuch, wie im Video zu sehen, auf dem Schoß meines Vaters gesessen zu habe, ich erinnere mich aber an das Rütteln unseres Autos auf allen Straßen Polens ...
... und dann hast du mit zittriger Handbewegung so eine Zickzacklinie als Rütteldiagramm gezeichnet?
Ja, aus dem Erinnerungsgefühl eine Bewegung zeichnen ... zu anderen Sequenzen fielen mir Objekte, Formen, Gefühle ein, ich erinnere mich an die Kamera meines Vaters, eine Bank vor dem Haus meiner Oma, die Treppe am Eingang, Heizkörper und Satellitenschüssel auf dem Dach, was ich dann alles gezeichnet habe. Ich erinnere mich auch an den Besuch in einer sehr alten Kirche in Polen, wo mich Orgelmusik total schockiert hat, weil die so laut und intensiv war ...

... deswegen auch die Orgelpfeifen auf dem einen Bild. Wie viele deiner Zeichnungen hast du für präsentabel gehalten?

Ich habe so 35 angefertigt, 20 hängen hier in der Ausstellung.

Danke für das Gespräch!

Patrick Peljhan, Jahrgang 1991, ist als Grafik-Designer ausgebildet, studierte zwei Semester Integriertes Design an der HfK Bremen, wechselte dann in die Freie Kunst, hat mit Zeichnungen angefangen, Installationen ausprobiert und widmete sich seit dem 6. Semester vornehmlich dem Medium Film. 2021 machte er seinen Abschluss als Meisterschüler bei Prof. Natascha Sadr Haghighian. Patrick Peljhan arbeitet heute vorwiegend als Video-Editor sowie als Projektbetreuer u. a. für das Alumni/ae-Netzwerk der HfK Bremen.

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Patrick Peljhan. Fotos: Bernadette Haffke

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Patrick Peljhan: Memory Blue. Foto: Referat 1