Beyond Tahrir – Unfolding Perspectives
Beyond Tahrir. Unfolding Perspectives
Im April 2013 hielten sich elf Studierende des Master-Studios Kultur und Identität der Hochschule für Künste Bremen zu einem Arbeitsaufenthalt in Kairo auf. Gut zwei Wochen später kam der Gegenbesuch von Studierenden der künstlerischen Fakultät der Helwan University Kairo in den Speicher XI der Bremer Überseestadt.
Als Ergebnis der vom DAAD geförderten Summer School erscheint nun „Beyond Tahrir. Unfolding Perspectives“. Die gemeinsam erarbeitete Publikation umfasst 120 Seiten (zweisprachig mit zahlreichen großformatigen Fotografien und Zeichnungen). Sie ist über die Initiatorin Prof. Andrea Rauschenbusch und Prof. Peter Bialobrzeski zu beziehen. (Kontakt: a.rauschenbusch@hfk-bremen.de oder p.bialobrzeski@hfk-bremen.de) Ägypten, Kairo und der Tahir-Platz gelten heute als Synonym für die Hoffnungen, die der Westen mit dem vielbeschworenen "Arabischen Frühling" verbindet. Zwei Jahre nach dem Sturz von Hosni Mubarak ist nicht nur in der arabischen Welt die Euphorie weitaus gedämpfter als noch vor Jahresfrist. Können die gestalterischen Auseinandersetzungen von 11 Ägypterinnen und Ägyptern und 11 Deutschen, einen Beitrag zu den laufenden Veränderungsprozessen in Kairo und in Ägypten leisten? Dieses Heft will keine Antworten geben, keine politischen Weisheiten verbreiten. Die Autorinnen und Autoren wollen vielmehr mit ihren Arbeiten Fragen aufwerfen, subjektive Wirklichkeiten herstellen. Während die Deutschen die Revolution in Ägypten ausschließlich über Medien und Recherchen erfahren haben, erlebten die Kairoer die Ereignisse direkt, oder aber über Freunde und Familie mit.
Ungewöhnlich vertraut und oftmals biografisch motiviert entwickeln vor allem die Ägypterinnen ihre Arbeit. Vielschichtig erörtern sie ihre Positionen zur Situation der Frauen, zur Meinungsvielfalt in den Familien oder werfen einen Blick zurück in die Geschichte. Das hohe Maß an Selbstbestimmung in der Freiheit der eigenen Arbeit fordert ihre traditionelle Zurückhaltung, gepaart mit jahrzehntelanger Einschränkung allgemeiner Meinungsfreiheit, oftmals heraus. Auch die Koexistenz verschiedener Sprachen wird zur Herausforderung. Subjektiv bildet sich der Mensch Meinungen, urteilt, beurteilt und macht seine eigenen Erfahrungen. Und ganz allmählich redeten sich nicht nur die Ägypterinnen und Ägypter frei. Mutige Debatten wurden ein wichtiger Baustein der gegenseitigen Auseinandersetzung.
Dabei bekamen die Deutschen vor allem einen erweiterten Blick auf die aktuellen lokalen Ereignisse. Ereignisse, die sie oft aus nächster Nähe (freitags brannten kaum 500 m entfernt vor dem Justizpalast in Downtown Autos) erleben konnten. Jenseits dessen gestaltete sich die Suche nach der Revolution zu einer Art semiotischem Detektivspiel, in dem die Studierenden versuchten, die Zeichen zu finden und zu interpretieren. Wie wird die Berichterstattung in den Zeitschriften Kairos wahrgenommen? In der Folge der Untersuchung wurden Bilder überzeichnet, das Spiel der Interpretation eröffnet. Was gibt es in der neuen Konfiguration zu sehen? Und was oder wen bestimmt das Wort Insha’Allah? Auch im dichten, fast malerischen Geflecht der Nahaufnahmen spiegeln sich gesellschaftliche Veränderungen und Ängste wieder. So entstanden Fotoserien zum Alltag in den Straßen Downtowns, zur Rolle der Medien und Symbolen der Macht, wie auch zum Niedergang eines einstmals westlich geprägten Ausflugslokals, das jetzt das Pech hat, in dem gleichen Viertel zu liegen wie das Hauptquartier der Muslimbruderschaft. Unfolding Perspectives. Die Summer School 2013 ist die bereits zweite Kollaboration der künstlerischen Fakultät der Helwan University Kairo und der Hochschule für Künste Bremen. Sie gliederte sich in zwei je 17-tägige Workrooms. Der Erste fand im April 2013 in den Räumen der Rooftop-Studios in Kairos Stadtteil Mounira statt. Zum Kontext aktueller gesellschaftlicher Veränderungen recherchierten die Studierenden ihr Material. Der Gegenbesuch führte die Ägypterinnen und Ägypter von Mitte Mai bis Anfang Juni 2013 an die HfK Bremen.
Hier wurden die gesammelten Inhalte in Bild und Text fokussiert und aufbereitet, diskutiert und in die vorliegende Publikation überführt. Die dialogische Grundauffassung findet in der bilingual lesbaren Gestaltung der Publikation ihre Entsprechung.
Die Workrooms der Summer School machten nicht nur den gestalterischen Prozess direkt erfahrbar, sondern wurden zum Output einer interkulturellen Verständigung auf gleicher Augenhöhe. Im Projekt wurden die jungen Gestalterinnen und Gestalter zu Autorinnen und Autoren. Ihre Methoden und Prozesse der visuellen Kommunikation wurden zum Ereignis und zum Gegenstand der Debatte. Der Zeitrahmen des Projekts war anspruchsvoll. Die Erfahrungen werden erst mittel- und langfristig ihre Wirkung entfalten und sich im Werk der Gestalterinnen und Gestalter widerfinden.

