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Donnerstag | 25. April 2024

Fundstücke aus dem Archiv des Klaus-Kuhnke-Instituts für Populäre Musik

Rezensiert von Nico Thom, Leiter des Klaus-Kuhnke-Instituts

Kürzlich erreichte uns ein Paket, das Tonträger und graphisches Material von Schifkof enthielt. Schifkof war eine Künstlergruppe, die sich während der Wendezeit formiert und ungefähr 10 Jahre Bestand hatte. Zu den Beteiligten gehörten Bildende Künstler:innen und Musiker:innen, genauer gesagt Udo Dettmann, Andrea Häfer, Andreas Hartrodt, Hans Hermann Hennig, Silke Hennig und Ulf Rickmann; später kam noch Reinhard Lippert hinzu. "Da wir aus Hamburg und Schwerin, also aus der DDR und der BRD kamen, entstand somit eine so genannte deutsch-deutsche Künstlergruppe; mit dem Ansatz Akustisches und Visuelles gleichberechtigt zu präsentieren. Unsere Arbeiten bezeichneten wir als optophone Installationen", heißt es im Begleitschreiben. Damit ist die Kunstgattung angedeutet: Es handelt sich um Klangkunst bzw. Installationen/Performances mit experimentellen Musik- und Soundanteilen. Man könnte auch von Hörstücken sprechen, die sich auf Bilder und Texte beziehen bzw. umgekehrt.

Beispielhaft soll hier "Bild und Ton" vorgestellt werden. Das "Schalldokument zu drei optophonen Bildinstallationen von Udo Dettmann und der Gruppe Schifkof" besteht aus einer limitierten Box (250 Stück) mit drei Vinyl-Platten sowie einem Begleitheft mit Schwarz-Weiß-Fotos und Texten. Jede der drei Platten enthält ein Stück bzw. eine Live-Performance. Die Titel lauten: 1) Ist Schulz Wagner, 2) Ich möchte dein Hund sein, 3) Heimatklänge. Die drei Stücke weisen eine durchschnittliche Länge von ca. 50 Minuten auf und sind jeweils auf zwei Plattenseiten á 25 Minuten verteilt worden. Auffällige Stilmittel sind liegende Klangflächen, eingespielte Audio-Schnipsel aus Radio- oder Fernsehbeiträgen sowie dezent instrumentierte Abschnitte, zum Teil mit gesprochenen oder gesungenen Texten. Neben dem Synthesizer und Klavier kommen auch E- und Bass-Gitarre zum Einsatz, ebenso wie ein Schlagzeug, ein Cello und eine Zither. Darüber hinaus werden Geräusche erzeugt mithilfe eines Diaprojektors, einer Kaffeemaschine und eines Druckers. Zudem werden diverse "Spielzeuge" zur Klangerzeugung genutzt. Die Stücke entwickeln sich langsam und sind sparsam aufgebaut. Eruptive Ausbrüche bleiben weitgehend aus. Die konzentrierte, dynamisch-differenzierte Grundstimmung wirkt atmosphärisch-getragen und lädt dazu ein, sich auf das intensive Hörerlebnis einzulassen.

Ist das Populäre Musik? Nicht im engeren Sinne, aber durchaus inspiriert von dieser; besonders in den Passagen, in denen Krautrock- und Free-Jazz-Anleihen hörbar werden. In diesen psychedelischen Abschnitten verschmelzen Polyrhythmen und atonale Klänge mit Umweltgeräuschen und Stimmen. Ab und an bilden sich Pattern. Zuweilen fühlt man sich an IDM-Elemente der Elektronischen Tanzmusik erinnert. Einfache Melodien, Akkordfolgen oder durchgehende Beats sucht man hingegen vergebens. In jedem Falle handelt es sich um subtile Medienkunst, die mittlerweile auch schon mehr als 30 Jahre alt ist.

Über die Vorgehensweise der Gruppe bei der Entstehung der Stücke sowie zum Setting der Performances ist im Begleitschreiben noch Folgendes zu lesen: "Unsere Arbeiten waren nicht improvisiert, sondern wiederholbar. Zwar nicht Note für Note, aber es gab genaue Handlungsanweisungen. Die Präsentationsform war zunächst konzertant, die Akteure und das Equipment waren Bestandteil eines sparsamen Bühnenbildes. [...] Es gab eine Reihe von Konzerten in Galerien und Konzerthäusern bis zum Ende der 90er Jahre."

Mark C. Gridley: "Jazz Styles. History and Analysis", 5. Auflage, inkl. 2 Audio-Kassetten, Englewood Cliffs: Prentice-Hall 1994.

Mark C. Gridleys Buch „Jazz Styles. History and Analysis“ (1994).
Mark C. Gridleys Buch „Jazz Styles. History and Analysis“ (1994). © Hochschule für Künste Bremen – Lukas Klose

Jede/r, der/die sich eingehend mit Jazz auseinandersetzen möchte, sucht es: das eine Buch, welches die Essenz dieser Musik erfasst und auf den Punkt bringt, am besten anhand von konkreten Beispielen. Es gab viele Versuche, das ultimative Jazz-Lehrbuch zu präsentieren. Auch der US-amerikanische Jazz-Flötist/Saxophonist und Psychologie-Professor Mark Charles Gridley hat es probiert – und war dabei ziemlich erfolgreich. Die erste Auflage seiner Schrift „Jazz Styles“ erschien 1978. Die bislang letzte, 11. Ausgabe wurde 2013 veröffentlicht. Parallel dazu ist eine gekürzte Fassung unter dem Titel „Concise Guide to Jazz“ auf den Markt gebracht worden, die mittlerweile auch schon in der 7. Auflage vorliegt.

An dieser Stelle wird die 5. Auflage des umfangreichen Buches „Jazz Styles. History and Analysis“ (422 Seiten) kurz beleuchtet. Ihr sind zwei Audio-Kassetten beigegeben, die mit vielen Hörbeispielen aufwarten. Auf der einen Kassette werden die instrumentalen Grundlagen von Jazzmusik erklärt, das heißt typische Spielweisen des Schlagzeugs, des Basses und des Pianos sowie diverser Melodieinstrumente. Aber auch basales Know-how in rhythmischer, harmonischer und melodischer Hinsicht wird vermittelt (z. B. Comping and Syncopation, Chords and Chord Progressions oder Octave-Voiced Piano Lines). Die zweite Kassette enthält Ausschnitte aus kanonisierten Jazzaufnahmen, die vom Autor eingeführt und kurz kontextualisiert werden. Die Beispiele zeigen die musikhistorische Entwicklung in chronologischer Reihenfolge, beginnend mit der Original Dixieland Jazz Band und endet mit Weather Report.

Die Hörbeispiele enden in den 1970er Jahren, weil die erste Buchausgabe 1978 erschienen ist. Die vorliegende Ausgabe aus dem Jahr 1994 schreibt zumindest im Text die Jazzgeschichte fort bis zum Kapitel „Jazz-Rock Fusion“. Dort werden neben Weather Report der Bassgitarrist Jaco Pastorius und der Gitarrist Pat Metheny hervorgehoben als stilbildende Musiker. Kurze Abschnitte behandeln zudem die Sub-Stilistiken New Age und Fuzak sowie die Popularität von Jazz-Rock bzw. Fusion Jazz zu Beginn der 1990er Jahre.

Der überwiegende Teil der Publikation orientiert sich jedoch an einem klassischen Jazz-Narrativ. Die Geschichte dieser Musik wird eingeteilt in vormodernen und modernen Jazz, wobei die Anfänge des modernen Jazz in den 1940er Jahren verortet werden. Die Kapitelüberschriften zum vormodernen Jazz lauten: Origins of Jazz, Early Jazz: Combo Jazz prior to the middle 1930s, Swing: The early 1930s to the late 1940s, Duke Ellington sowie The Count Basie bands. Der moderne Jazz wird in zwei Teilen behandelt: 1) The early 1940s to the early 1960s sowie 2) The early 1960s to the early 1990s. Beide Teile decken die typischen Schlagworte bzw. Künstler ab: 1) Bop, Cool Jazz, Hard Bop, Miles Davis and his groups and sideman sowie John Coltrane; 2) 1960s and 70s Avant-Garde and “Free” Jazz, Bill Evans/Herbie Hancock/Chick Corea/Keith Jarrett sowie Jazz-Rock Fusion.

Die historische Darstellung ist eingerahmt von Ausführungen zu den Basics of Jazz (Definition, Improvisation etc.) und einem ausführlichen Appendix (Elements of music, Guide to album buying, Guide to jazz videos, Glossary, Supplementary reading, Sources for notated jazz solos, For musicians, Index). Zudem gibt es viele Fotos, Grafiken und Infoboxen. Notenabbildungen gibt es nicht, da sich die Publikation als Grundkurs bzw. Einführung versteht, die sich an Anfänger:innen richtet. Ursprünglich wurde der Text verfasst für fachfremde Studierende an Hochschulen bzw. Universitäten. Das Buch ist pädagogisch sinnvoll aufgebaut und operiert beispielsweise mit Kapitelzusammenfassungen. Aus europäischer Sicht fällt auf, dass die historische Darstellung stark verengt ist auf den US-amerikanischen Jazz. Nicht ein einziger europäischer Jazzmusiker wird erwähnt, geschweige denn eine Musikerin! Insofern wirkt die Publikation etwas aus der Zeit gefallen bzw. sehr traditionell. Nichtsdestotrotz liefert sie pointierte Informationen zu verschiedenen Aspekten des Jazz. 

 

„Bremer Liederbuch für AKW-Gegner“, 2. Auflage, hrsg. von der Bremer Bürgerinitiative gegen Atomenergieanlagen (BBA), Bremen: Eigenverlag 1979.

„Bremer Liederbuch für AKW-Gegner“, 2. Auflage, hrsg. von der Bremer Bürgerinitiative gegen Atomenergieanlagen (BBA), Bremen: Eigenverlag 1979. © Hochschule für Künste Bremen – Lukas Klose

Bei diesem Liederbuch handelt es sich ganz klar um politische Literatur bzw. Musik. Es ist im Umfeld der Anti-Atomkraft-Bewegung entstanden, die sich in den 1970er-Jahren als soziale Bewegung formiert hat und im internationalen Vergleich in Deutschland besonders stark ausgeprägt war. Die Bewegung bestimmte den öffentlichen Diskurs in der Bundesrepublik über Jahrzehnte hinweg nachhaltig und hat dank ihrer Beharrlichkeit dazu geführt, dass am 15. April 2023 die drei letzten Atomkraftwerke Deutschlands (Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2), die noch in Betrieb gewesen waren, abgeschaltet wurden. Insofern ist der musikalisch-politische Bezug zur Gegenwart gut zu erkennen.

Das handliche Büchlein wurde für den Einsatz auf Demonstrationen konzipiert. Dazu schreiben die Herausgeber:innen von der Bremer Bürgerinitiative gegen Atomenergieanlagen (BBA) im Vorwort: „Dieses Liederbuch ist aus unserer Not entstanden, immer mit 4 oder 5 verschiedenen Heftchen herumlaufen zu müssen, wenn wir etwas singen wollen. Es ist also vorwiegend ein 'Gesangbuch', deshalb haben wir darauf verzichtet, erklärende Texte zum Entstehen der Lieder und zu den Kämpfen an den jeweiligen Standorten zu geben. Im Register wird deshalb auf Texthefte, Liederbücher und Schallplatten verwiesen, in denen mehr Inhaltliches steht. [...] Schickt uns neue Lieder und schreibt, welche rausbleiben könnten, weil man sie sowieso nicht singt. Wir konnten leider nicht alle Lieder, die wir gesammelt haben, aufnehmen, da man das Buch ja bequem zur nächsten Demo mitnehmen soll.“

Offenkundig ist der Do-it-yourself-Ansatz der Publikation, die mit einer Schreibmaschine erstellt und durch zahlreiche handgeschriebene Überschriften, Notensätze, Zusatztexte und Zeichnungen ergänzt wurde. Auf 230 engbedruckten Seiten sind circa 100 Lieder mit deutschen Texten versammelt. Diese wurden in erster Linie nach Standorten von Atomkraftanlagen geordnet, es gibt beispielsweise Lieder zu Brokdorf, Gorleben oder Rehling bei Augsburg. Aber auch die Schweiz als Atomkraftnation wird besungen, ebenso wie die französische Gemeinde Malville. So deutet sich die Internationalität der Bewegung an. Darüber hinaus findet man Lieder, die allgemeinen Charakter haben, zum Beispiel den „Anti Paranoia Blues“, „Das Lied vom Schutzmann“ oder „Das 'Es-kann-gar-nichts-passieren'-Lied“.

In der vorliegenden zweiten Auflage wurde einiges neu gemacht, wodurch die Vitalität der Anti-AKW-Bewegung Ende der 70er Jahre sichtbar wird: „Viele Lieder, die im vergangenen Jahr entstanden sind, wurden neu aufgenommen. Wenige alte Lieder haben wir dafür rausgelassen. Zu sämtlichen Liedern sind jetzt die Noten abgedruckt. Wir haben uns bemüht, die Melodien in singbaren Tonhöhen zu halten. [...] Zu allen Melodien sind Harmonien angegeben, in einer einheitlichen Schreibweise.“ Am Ende des Buches gibt es zudem Hinweise, wie man Lieder selber schreiben kann. Es lässt sich festhalten, dass es sich um ein Zeitdokument handelt, das neben den politischen Impetus die Idee einer musikalischen Graswurzelbewegung stellt, bei der jede/r mitmachen kann und soll.

„Koschat-Album. Auswahl der beliebtesten Kärntner Lieder von Thomas Koschat. Erster Band. Ausgabe A. Für eine Singstimme mit Pianoforte (hoch)“, Notenausgabe, Leipzig: Verlag F.E.C. Leuckart, ca. 1895

Manchmal spielt einem der Zufall in die Hände. Im Foyer unserer Hochschule für Künste haben wir dieses feine Notenalbum gefunden. Jemand hat es dort zum Mitnehmen abgelegt bzw. verschenkt. Nun ist es in unseren Bestand übergegangen, also sozusagen im Haus geblieben.

Dieses Koschat-Album ist der erste Teil einer mehrbändigen Ausgabe und wurde von Thomas Koschat (1845–1914) komponiert bzw. zusammengestellt. Der „Kärntner Liederfürst“ schuf im Laufe seines Lebens ein umfangreiches Werk, welches die Kärntner Volkslied-Tradition aufgriff und weiterentwickelte. Kärntnerlieder beziehen sich auf die südlichste Region Österreichs bzw. auf das Bundesland Kärnten (Landeshauptstadt: Klagenfurt am Wörthersee).

Ausgehend von Viktring bei Klagenfurt am Wörthersee zog es Koschat an die Wiener Hofoper, wo er späterhin viele Jahre Leiter des Chores gewesen ist. Mit seinen Lied-Bearbeitungen und -Neukompositionen erlangte er Popularität und tourte sogar durch Europa und Amerika. In seiner Heimat Österreich wurde ihm Ruhm und Ehre zuteil. Auch darüber hinaus, im gesamten deutschsprachigen Raum, fand sein Œuvre viel Anerkennung. Sein bekanntestes Stück ist sicherlich das „Jägerständchen“, heutzutage besser bekannt als der „Schneewalzer“.

In der hier vorliegenden, sehr hübsch gestalteten Notenausgabe, die ca. 1895 in einem Leipziger Verlag veröffentlicht worden ist, sind 20 seiner Lieder bzw. Bearbeitungen von Volksliedern versammelt. Deren Texte greifen den Kärntner Dialekt auf. Dazu heißt es in den Vorbemerkungen von Koschat: „In Folge mehrfacher, namentlich aus Norddeutschland eingelaufener Anfragen in Betreff der Aussprache und Betonung gewisser durch besondere Zeichen markirter mundartlicher Laute, sehe ich mich veranlasst dieser Ausgabe meiner volksthümlichen Compositionen einige Andeutungen voraus zu schicken.“ (sic!)

Die meist nur 2 bis 3 Seiten umfassenden Lieder tragen Titel wie „Karntner G'müath“, „Büaberl, merk dir's fein“ oder „Ew'ge Liab“. Nur das letzte Stück namens „Am Wörther See“ ist umfangreicher und beinhaltet fünf Kärntner Walzer.

Wie produktiv und populär Thomas Koschat gewesen ist, lässt sich den Werbeanzeigen des Verlags entnehmen, die in dem Album enthalten sind. Dort werden auf mehreren Seiten ganz unterschiedliche Notenausgaben des Komponisten angepriesen, mit Arrangements (zum Teil durch Dritte) für verschiedene Instrumente und Besetzungen. Die höchste Opuszahl liegt bei 100, zwanzig Jahre vor dem Tod des Komponisten. Offenbar gab es eine rege Nachfrage nach seinen Werken, die durchweg eingängig und tänzerisch gehalten sind. Bei den meisten Stücken handelt es sich um kurze Walzer.

„Frauen im Jazz“, DVD mit drei Dokumentarfilmen von Greta Schiller & Andrea Weiss, Berlin: Salzgeber 2007

„Frauen im Jazz“, DVD mit drei Dokumentarfilmen von Greta Schiller & Andrea Weiss, Berlin: Salzgeber 2007

Vom Berliner Filmverleih & Verlag Salzgeber, der sich auf queere Themen spezialisiert hat, wurde 2007 diese DVD veröffentlicht, welche drei kurze Dokumentarfilme von Greta Schiller und Andrea Weiss enthält. Die beiden US-Amerikanerinnen sind Mitte der 1950er-Jahre geboren und machen seit den frühen 1980er-Jahren gemeinsam Dokumentarfilme. Das lesbische Paar betreibt seit 1984 die Jezebel Productions, eine kleine und unabhängige Filmproduktionsgesellschaft mit Sitz in New York.

Kennen Sie die International Sweethearts of Rhythm, eine 16-köpfige Big Band? Schwarze und weiße Frauen spielten in dieser Formation gleichberechtigt miteinander. Hervorgegangen war die Gruppe aus einer Schülerinnenband aus dem Mississippi-Delta, die 1939 von einem Schulleiter gegründet worden ist. 1941 wurde die glamouröse Anna Mae Winburn neue Leiterin und zugleich Sängerin der Big Band. Auch andere professionelle Musikerinnen wie Vi Burnside und Ernestine „Tiny“ Davis stießen 1941 hinzu. Fortan entwickelte sich die Big Band zu „Americas greatest all girl band“ (ein Slogan, der auf dem Tourbus prangte). Während des 2. Weltkrieges gelang der Durchbruch. 

Nichtsdestotrotz hatten es die Sweethearts schwer, sich im Musikgeschäft durchzusetzen, weil sie eine „gemischtrassige“ Band gewesen sind. Sie spielten in erster Linie für ein schwarzes Publikum und tourten gemeinsam im Bus durch die USA. „Wir aßen zusammen, schliefen und lebten zusammen. Unser einziges Ziel war, Musik unter die Leute zu bringen. [...] Wir waren Profis, wie die Männer. [...] Louis Armstrong war einer unserer liebsten Freunde. Er mochte uns persönlich. Wie auch Count Basie oder Billie Holiday. [...] Armstrong versuchte sogar Tiny Davis abzuwerben. Er bot ihr das Zehnfache.“ Tiny: „Ich ging nicht, weil ich die Mädchen zu sehr mochte. Ich liebte sie.“ „Wir hingen aneinander. [...] Wir arbeiteten auch mit Ella Fitzgerald. Sie wurde eine sehr gute Freundin“, berichtet Anna Mae Winburn. Die Band trat sogar in Europa auf und spielte dort für amerikanische Soldaten. Allein in Deutschland verbrachten die Frauen sechs Monate und konzertierten dort beispielsweise im Nürnberger Opernhaus. Nach dem Krieg litt die Band unter den zurückkehrenden männlichen Musikerkollegen, die nun die Jobs bekamen. Außerdem gründeten viele Bandkolleginnen Familien und konnten nicht adäquat ersetzt werden. Ende der 1940er Jahre zerfiel die Big Band allmählich, nicht zuletzt weil diese Art von Swing durch neuere musikalischen Entwicklungen (Stichwort: Bebop) an Popularität verlor. Der halbstündige Dokumentarfilm mit dem schlichten Titel „International Sweethearts of Rhythm“ kam 1986 heraus und zeigt Interviews mit den Protagonistinnen sowie eine Menge Archivmaterial, das die Beliebtheit der Big Band in den 1940er Jahren belegt, ebenso wie die erstklassige Qualität ihrer Musik.

Der Film "Tiny & Ruby - Hell Divin' Women" aus dem Jahr 1988 widmet sich den beiden Afro-Amerikanerinnen Ernestine „Tiny“ Davis & Ruby Lucas, die seit über 40 Jahren ein lesbisches Paar sind. Kennen und lieben gelernt haben sie sich in der Band Tiny Davis and her Hell Divers. Die virtuose Trompeterin und Sängerin Ernestine „Tiny“ Davis – man nannte sie anerkennend den „weiblichen Satchmo“ – leitete die professionelle Frauenband von 1947 bis Anfang der 1960er Jahre, nachdem sie bei den International Sweethearts of Rhythm ausgestiegen war. Die Combo spielte eine unterhaltsame Mischung aus Blues, Swing sowie Rhythm & Blues. Ruby Lucas fungierte erst als Fahrerin, später als Bassistin, Schlagzeugerin und Pianistin der Band. Nach der Scheidung von Tiny Davis (im Jahr 1946), die drei Kinder hatte, wurden Ruby und die Bandleaderin ein Paar. Mitte der 1950er Jahre bis Anfang der 1960er Jahre betrieben Tiny und Ruby dann gemeinsam einen Schwulen-/Lesbenclub in Chicago namens Gay Spot. Hausband waren die Hell Divers. Der 27-minütige Film präsentiert die beiden Frauen und ihre gemeinsame musikalische Lebensgeschichte in Form von Interviews und Archivaufnahmen. Dabei vermitteln sich die ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten der Ladies: hier die lebenslustige Vollblutmusikerin im Rampenlicht (Tiny), da die zurückhaltende Organisatorin im Hintergrund (Ruby).

Im 45-minütigen Film „Maxine Sullivan – Love to be in love“ geht es um die Pop-/Jazz-Sängerin aus Pittsburgh, die in New York erfolgreich wurde. Ihre Lebensdaten: 1911–1987. „Sie hatte einen direkten Gesangsstil, einfach, aber mit ungeheurem Rhythmusgefühl. Einfach perfekt“, so Scott Hamilton, Bandleader und Saxophonist. Zwar war ihr keine formale musikalische Ausbildung zuteil geworden, aber Maxine Sullivan stammte aus einer Familie von Musiker:innen. Alle zehn Familienmitglieder spielten irgendein Instrument oder sangen. Die Art von Musik, mit der sie Berühmtheit erlangte, wurde als „Sweet Swing“ bezeichnet. Sie sang unter anderem Swing-Versionen von klassischen Werken und hatte einen Riesenhit namens „Loch Lomond“. Sie trat mit Benny Goodman und Louis Armstrong auf und arbeitete sowohl am Broadway wie auch beim Film. Sullivan tourte durch Großbritannien, wo sie ebenfalls Hits landen konnte. „Ich löste mich langsam vom Folk und kehrte zurück zu meiner Leidenschaft, dem Jazz.“ (Maxine Sullivan) 1957 zog sie sich für 12 Jahre aus dem Showgeschäft zurück, um sich ihrer Familie zu widmen – und nahm ihre Gesangskarriere im Alter von 58 Jahren wieder auf. Seit den 1950ern spielte sie auch Posaune und Flügelhorn. In hohem Alter absolvierte sie zwei Japan-Tourneen. Ab 1983 nahm sie alle drei Monate ein neues Album auf und formte eine feste Band um sich, mit der sie um die Welt tourte. Sie war eine Dixieland- und Swing-Veteranin und erreichte ein großes Publikum von Oldtime-Jazz-Liebhaber:innen. Der Film von Greta Schiller und Andrea Weiss erblickte 1991 das Licht der Welt und dokumentiert die faszinierende Lebens-/Musikgeschichte der afro-amerikanischen Sängerin auf der Basis von zahlreichem Archivmaterial und selbstgeführten Interviews mit Wegbegleiter:innen.

"Battle of Print. Hands on Vinyl (Motto 2018). Der Gewinner-Kalender 2019", hrsg. vom Kommunikationsverband Wirtschaftsraum Bremen e. V., Bremen: Stürken | Albrecht Druckgesellschaft 2019

"Battle of Print. Hands on Vinyl (Motto 2018). Der Gewinner-Kalender 2019", hrsg. vom Kommunikationsverband Wirtschaftsraum Bremen e. V., Bremen: Stürken | Albrecht Druckgesellschaft 2019

2007 organisierte die „Stürken | Albrecht Druckgesellschaft“ aus Bremen erstmals den Design-Wettbewerb „Battle of Print“. Das Ziel dabei war von Anfang an, „eine optimale Vernetzung zwischen Druckerei und Kreativschaffenden sowie der Wirtschaft in und um Bremen herzustellen", heißt es in einem Statement der Firma. Seither wird jährlich ein Motto für einen Kalender ausgerufen, für das bzw. den Gestalter:innen aus dem Nordwesten der Bundesrepublik Entwürfe einreichen können. Die besten Einreichungen werden gekürt und über eine crossmediale Kampagne verbreitet, bei der Printmedien, Social Media, klassische Online-Kommunikation sowie eine Ausstellung inklusive Vernissage kombiniert sind.

Mittlerweile wird der Design-Wettbewerb in Kooperation mit weiteren regionalen Organisationen veranstaltet, darunter ist beispielsweise der Kommunikationsverband Wirtschaftsraum Bremen e. V. sowie die Wilhelm Wagenfeld Stiftung. Im Jahr 2018 beteiligten sich zudem die Weserburg bzw. das Zentrum für Künstlerpublikationen und das Klaus-Kuhnke-Institut für Populäre Musik (KKI) an der Ausschreibung unter dem Motto „Hands on Vinyl“. In der sechsköpfigen Jury waren unter anderem Peter Schulze, Gründer des KKI, sowie Klaus Voormann, Musiker und Grafiker aus dem Umfeld der Beatles.

Das Motto „Hands on Vinyl“ zielte darauf ab, Re-Designs von LP-Covers anzuregen. Anders ausgedrückt bestand die Aufgabe darin, bestehende Vinyl-Alben neu zu designen. Die Entwürfe sollten die Vorder- und Rückseiten der Schallplatten-Hüllen sowie die jeweiligen Plattenetiketten (in der Mitte) umfassen und in den Originalgrößen eingereicht werden. Aus den Einsendungen wurden die drei besten ausgezeichnet. Neun weitere Entwürfe wurden in den Kalender aufgenommen, der eindrücklich Platten-Cover-Kunst zelebriert.

Den ersten Platz belegte Fabian Giering aus Bremerhaven (Studium: Digitale Medienproduktion / Hochschule Bremerhaven) mit einem Re-Design des Albums „The Beautiful Game“ (2016) der US-amerikanischen Funk-Band Vulfpeck (siehe die rechte Seite des Fotos; die linke Seite des Fotos zeigt den Kalenderrücken). Platz zwei belegte Asja Beckmann aus Bremen (Studium: Illustration und Typografie / Hochschule für Künste Bremen) mit ihrer Neu-Interpretation von „Non-Stop Erotic Cabaret“, einem Album des britischen Synthiepop-Duos Soft Cell aus dem Jahr 1981. Den dritten Platz ergatterte Ivana Kleßen aus Bremen (Studium: Kommunikationsdesign / Kunstschule Wandsbek), die das Album „Dynasty“ (1979) der US-amerikanischen Hard-Rock-Band Kiss umgestaltete.

"Transita – ein Kofferradio der Firma Nordmende" (Bremen, um 1960)

"Transita – ein Kofferradio der Firma Nordmende" (Bremen, um 1960)

Einst wurden in Bremen Rundfunkempfangsgeräte produziert, die sich großer Beliebtheit erfreuten. Ursprünglich hatte Otto Hermann Mende 1923 in Dresden die Firma Radio H. Mende gegründet. Da das Unternehmen im zweiten Weltkrieg in die deutsche Rüstungsindustrie eingebunden war, ist das Werk von den Alliierten zerstört worden. 1947 wurde es von Martin Mende, dem Neffen des Gründers, in Bremen wiederaufgebaut. Aufgrund von Protesten wurde der Familien- bzw. Firmenname leicht modifiziert. Fortan trug der Betrieb die Bezeichnung Nordmende und entwickelte sich in der Nachkriegszeit zu einem der führenden deutschen Hersteller von Unterhaltungselektronik.

Neben anderen deutschen Firmen wie Metz, Saba, Grundig oder Telefunken behauptete sich Nordmende aus Bremen heraus auf dem internationalen Markt. Seit Anfang der 1950er Jahre sind neben Radios und Schallplattenspielern auch Fernsehgeräte produziert worden und die Geräte konnten in mehr als 100 Länder exportiert werden. Es herrschte eine Art Goldgräber-Stimmung bei Nordmende und so wurden weitere Werke im Bremer Umland errichtet.

Ein Markenzeichen von Nordmende war das moderne Produktdesign. Besonders ein mobiles Transistorradio mit Namen „Transita“ repräsentierte den Freiheitsdrang und die Coolness der jungen Generation sowie den Sound der Zeit: den Übergang vom Rock 'n' Roll der 1950er zur Beatmusik der 1960er Jahre. „Transita“ war praktikabel, denn man konnte es wegen seiner kompakten Maße und des Batteriebetriebs einfach immer dabei haben und so die aufregende, neue Musik überall empfangen.

Ende der 1970er Jahre geriet Nordmende in die Krise, ähnlich wie andere deutsche Hersteller, z. B. Saba und Telefunken. Alle drei genannten Unternehmen wurden von der französischen Firma Thomson übernommen und dann sukzessive abgewickelt bzw. wegrationalisiert. Trotz Unterstützung des Bremer Senats mussten die Nordmende-Werke in Bremen und umzu geschlossen werden. Die Markenrechte von Nordmende wurden allerdings weiterverkauft und so erlebte „Transita“ im Jahr 2017 als Nordmende-DAB-Digitalradio im Retro-Design eine Wiedergeburt.

"The East Is Red. A Pageant of the Revolution, Performed in Peking by 3,000 Workers, Peasants, Students and Soldiers of The People's Republic of China" (Box mit 3 Vinylplatten & Begleitheft, New York: Paredon Records 1971)

"The East Is Red. A Pageant of the Revolution, Performed in Peking by 3,000 Workers, Peasants, Students and Soldiers of The People's Republic of China" (Box mit 3 Vinylplatten & Begleitheft, New York: Paredon Records 1971)

Ob der Osten wirklich rot ist, wird in diesen Tagen wieder heiß diskutiert. Der Krieg in der Ukraine und die Allianz zwischen Russland und China bieten Anlässe, um erneut über geopolitische Separierungen wie Ost versus West oder Kommunismus versus Kapitalismus nachzudenken. Dass solche Dualismen Zuspitzungen sind und die Welt de facto bunter bzw. facettenreicher ist, muss man sich dabei ins Gedächtnis rufen.

Einen Denkanstoß in diese Richtung liefert diese Box mit drei Vinylplatten und einem Begleitheft. Die Box ist China gewidmet und enthält die Volksoper bzw. das Epos „The East Is Red“, welche/s zum 15. Jahrestag der Volksrepublik (Gründungsjahr: 1949) im Jahr 1964 entstanden ist. Darin wird die Chronologie der chinesischen Revolution nachgezeichnet.

„The East Is Red“ wurde auch verfilmt. Der Film erschien 1965 in China und zeigt die historischen Ereignisse in einer stilisierten Inszenierung, welche stark geprägt ist vom Maoismus und die bevorstehende Kulturrevolution (1966–1976) bereits andeutet. In einer pompösen Bildsprache werden riesige Staatsgebäude sowie Menschenmassen dargestellt, die synchronisiert singen und tanzen. Dazu erklingt ein gewaltiges Orchester, das sich sowohl aus traditionell-chinesischen wie klassisch-europäischen Instrumenten zusammensetzt. Der massive Chorgesang wird immer wieder von Solo-Arien und gesprochenen Textpassagen unterbrochen.

Die vorliegende Box enthält den Soundtrack des Films. Im Untertitel heißt es: „Ein Festspiel der Revolution, aufgeführt in Peking von 3.000 Arbeitern, Bauern, Studenten und Soldaten der Volksrepublik China“. Kurios ist der Umstand, dass die Vinylplatten-Box nicht in China, sondern in den USA veröffentlicht worden ist, und zwar 1971 bei dem in Brooklyn/New York ansässigen Label Paredon Records (1970–1985), das sich auf revolutionäre, linke Bewegungen und ihre jeweiligen Protestmusiken spezialisiert hatte.

Der ausgeprägte politische Impetus, der in dieser Box zu finden ist, regt an zu Reflexionen über vermeintlich klare Grenzen zwischen Ost und West bzw. kommunistischen und „freien“ Staaten. Nicht zuletzt die Tatsache, dass an der Hochschule für Künste Bremen auch Menschen aus China studieren (ebenso wie Personen aus Russland und der Ukraine), sollte zu denken geben. Aber auch die Grenze zwischen klassischer und populärer Musik wird in dieser Produktion durchkreuzt. Hier handelt es sich im wahrsten Sinne des Wortes um Musik der/für Massen.

Jens Grabig, Gerald Struck & Tobias Trelle: "Musik im Internet" (Düsseldorf et al.: Sybex-Verlag, 1995)

Jens Grabig, Gerald Struck & Tobias Trelle: "Musik im Internet" (Düsseldorf et al.: Sybex-Verlag, 1995)

Als dieses Buch vor 28 Jahren erschienen ist, war noch nicht abzusehen wie sich das Internet bzw. dessen Musikangebot entwickeln würde. Heutzutage mag ein Schriftbanner wie „Entdecken Sie das Internet“ auf dem Umschlag einer Publikation süß anmuten, damals konnte man allerdings nicht voraussetzen, dass alle potentiellen Leser:innen dieses weltweite Kommunikationsnetz kennen. Es war in der breiten Öffentlichkeit schlichtweg noch nicht angekommen. Zwar lassen sich dessen Ursprünge bis in die 1960er Jahre zurückverfolgen, als das US-Militär damit zu experimentieren begann, aber es dauerte fast drei Jahrzehnte bis das kommerzielle Potenzial erkannt und genutzt wurde. Zuvor hatten sich über viele Jahre Wissenschaftler:innen aus diversen Disziplinen mit dem Internet befasst, die Technologie dahinter weiterentwickelt und die Anwendungsmöglichkeiten getestet.

Zu den Autoren des Buches heißt es auf dem Einband: „Jens Grabig ist ein Internaut der ersten Stunde. Mit seinen Mitarbeitern Gerald Struck und Tobias Trelle ist er (fast) rund um die Uhr 'online', um für Sie die besten Plätze im Internet zu erforschen“. Grabig und sein Team haben Mitte der 1990er Jahre vergleichbare Bücher zum Thema Internet veröffentlicht, darunter „Sport im Internet“ (1995), „Reiseplanung im Internet“ (1995) und „Erotik im Internet“ (1995), die allesamt bei Sybex erschienen sind, einem der „Pioniere im Computerbuchmarkt in Deutschland“, wie auf der Website des Verlages zu lesen ist.

Wie gering das Angebot an musikbezogenen Online-Informationen noch war, ist allein schon dem Klappentext zu entnehmen: „Es [das Internet] bietet zu über 1600 Musikgruppen mehr als 1000 Web-Seiten. [...] Tauschen Sie sich in Newsgroups aus, oder laden Sie Sounds und Videos auf Ihre Festplatte. Informieren Sie sich über aktuelle Konzerttermine und Diskographien". Nichtsdestotrotz war offenbar schon das gesamte stilistische Spektrum verfügbar. "Die Informationsvielfalt ist gewaltig. Zu allen Genres finden Sie, was das Fanherz interessiert: ob Mainstream oder Underground, Klassik und Rock, Pop, Rap, Hip-Hop, Soul, Jazz, Beat, Blues... .“ Da es an übergeordneten (Streaming-)Plattformen und Meta-Suchmaschinen noch mangelte, machte eine Publikation wie diese also durchaus Sinn.

Nachdem die Autoren in die „größte Musikmesse der Welt“ eingeführt haben, geben sie eine Reihe von Tipps zur Software-Installation, zur Nutzung des Internets sowie zur „Netiquette“. In einem Glossar werden die wichtigsten Begriffe (z. B. E-Mail, HTML oder Link) beschrieben. Der zweite Teil des Buches ordnet Internetadressen von Solokünstler:innen und Bands unter Oberbegriffe wie „Alternative, Indie & Industrial“ (z. B. Dead Can Dance, Einstürzende Neubauten oder Sonic Youth), „Hard & Heavy“ (z. B. AC/DC, Scorpions oder White Zombie), „Hip-Hop, Jazz, R&B“ (z. B. Albert Ayler, Jazzkantine oder Snoop Doggy Dogg), „Rock & Pop“ (z. B. Paula Abdul, Björk oder Die Prinzen) sowie „Techno, Rave & Ambient“ (z. B. 2 Unlimited, Laurent Garnier oder Marusha). Darüber hinaus werden Websites sortiert unter „Archive & Online-Magazine“ (z. B. Audio-Datenbank, Techno.Net oder Virtual Radio), „Instrumente & Musiksoftware“ (z. B. Fender, MIDI Farm oder Steinberg) sowie „Labels“ (z. B. BMG, Geffen Records oder Polygram) und „Verrücktes & Verschiedenes“ (z. B. Beavis & Butt-Head, Deutsche Welle Musikwunsch oder Rock-'n'-Roll-Clubs in Österreich). Selbstverständlich werden auch für „Klassische Musik“ Websites angegeben (z. B. Klassische Gitarre, Bach oder New Zealand Symphony Orchestra). Alles in allem ein spannendes Dokument zu den Anfängen der (Populären) Musik im Internet.

Versengold: "Nordlicht" (Limitierte Fan-Box, RCA/Sony/Fuego 2019)

Versengold: "Nordlicht" (Limitierte Fan-Box, RCA/Sony/Fuego 2019)

Es ist erstaunlich, welche Reichweite die Band Versengold erzielt. Sie wurde 2003 im Bremer Umland (Osterholz-Scharmbeck) gegründet und wird 2023 ihr zwanzigjähriges Bestehen feiern. Der deutschsprachige Folk-Rock der sechs Musiker:innen setzt unter anderem auf traditionelle Instrumente wie die Nyckelharpa, die Bouzouki, die Mandoline oder die Fiddle. 2022 erschien das achte Album der Formation unter dem Titel „Was kost die Welt“ und belegte Platz 1 der deutschen Album-Charts.

An dieser Stelle soll es jedoch um das Vorgängeralbum „Nordlicht“ gehen, das 2019 veröffentlicht worden ist und immerhin Platz 4 der deutschen Album-Charts erreichte. Aufgrund des kommerziellen Erfolgs wurde auch eine limitierte Fan-Box auf den Markt gebracht. Diese enthält neben dem „Nordlicht“-CD-Longplayer (14 Titel) eine Blu-ray-Disc, auf der die Video-Dokumentation „15 Jahre Versengold. Das Jubiläumskonzert live in Hamburg“ (mit 28 Songs) aus dem Jahr 2018 festgehalten ist. Zusätzlich sind Merchandise-Produkte beigegeben wie ein Sturm-Feuerzeug, eine Kette mit Anhänger sowie ein Schnapsglas.

Die Box bietet eine Menge handgemachte Musik, die spritzig vorgetragen ist und mit ironischen Texten daherkommt. Thematisch kreisen die schnellen Tanzlieder und kratzigen Balladen vor allem um den rauen Norden, das Meer, mittelalterliche Trinkgelage, Berichte historischer Ereignisse und Liebesbeziehungen. Dabei werden hin und wieder gesellschaftskritische Anspielungen eingeflochten, die sich auf die Gegenwart beziehen.

Die Konzertaufzeichnung aus dem Jahr 2018 zelebriert die fünfzehnjährige Bandgeschichte mit einer Querschnittsauswahl von eigenen Liedern vor großem Publikum. Die Fans singen mit und tanzen ausgelassen. Eine Reihe von Gastmusiker: innen wird auf der Bühne begrüßt. Live funktioniert die Musik von Versengold offensichtlich sehr gut, nicht zuletzt, weil sie professionell und schwungvoll präsentiert wird – allerdings ohne viel Drumherum. Nur die Musiker:innen, ihre Instrumente und die Freude stiftende Performance.

Hotcha Trio: "Polly Wolly Doodle. The Best of Hotcha Mouth-Organ-Trio" (Kompaktkassette, Cross [ohne Jahr])

Hotcha Trio: "Polly Wolly Doodle. The Best of Hotcha Mouth-Organ-Trio" (Kompaktkassette, Cross [ohne Jahr])

Skurrile Musik und ein unauffindliches Album stehen dieses Mal im Mittelpunkt. Das „Hotcha Trio" aus den Niederlanden war vor Jahrzehnten mit heiterer Mundharmonika-Musik bzw. musikalischer Clownerie ziemlich erfolgreich. Inspiriert von Mundharmonika-Star Borrah Minevitch und seiner Gruppe The Harmonica Rascals startete die Formation 1938 in Rotterdam unter dem Namen 5 Hotchas, damals noch zu fünft.

Als die Gebrüder Wim und Cor Belder 1949 nach Australien auswanderten, verblieben Joop Heijman (Solo-Mundharmonika), Geert van Driesten (Bass-Mundharmonika) und Eddie Sernee (Vineta bzw. Akkord-Mundharmonika), die fortan das Hotcha Trio bildeten. In den folgenden Jahren wechselten die Bass-Mundharmonika-Spieler einige Male durch, das Trio bestand jedoch noch bis 1970. Die Hochphase des Trios war in den 1950er Jahren. Zu dieser Zeit galten sie als „Nederlands Populairste Artiesten“. Sie nahmen zahlreiche Platten auf, machten Welttourneen, hatten Auftritte in Varieté-Shows und im Fernsehen sowie Gastrollen in diversen Filmen und lukrative Werbeverträge.

Das Label Philips vermarktete das Trio auch im deutschsprachigen Raum, indem es die Mundharmonika-Virtuosen einige Kinder- und Volkslieder sowie Schlager instrumental vertonen lies (z. B. „Blumenwalzer“, „Wiener Blut“ oder „Du liegst mir am Herzen“). Mitunter stellte man den Dreien eine namenlose „rhythmische Begleitung“ zur Seite, das heißt einen Kontra- oder E-Bass und ein Schlagzeug. Stilistisch deckte das Trio ein breites Spektrum ab und versuchte sich ebenso an Rock-'n'-Roll-, Country- sowie Latin-Stücken. Stets waren die Uptempo-Arrangements schmissig, humorvoll und tanzbar.

Das Klaus Kuhnke Institut (KKI) hat eine Original-Kompaktkassette im Archiv, die eine Best-of-Auswahl des Trios präsentiert. Leider gibt das Fundstück wenig Informationen preis. Das Erscheinungsjahr ist unklar (vermutlich irgendwann in den 1980er Jahren). Immerhin erfährt man, dass die Kassette in Deutschland produziert bzw. erschienen ist. Zum ausgewiesenen Musiklabel namens „Cross“ ist allerdings nichts zu finden. Das Album taucht in keiner Diskographie des Trios auf. Der verknappte Hinweis „Trad. Bearb. J. Sprangers“ lässt erahnen, dass es sich dabei um den Namen eines externen Arrangeurs handeln könnte. Das Erscheinungsbild der Kassette ist lieblos und deutet auf eine kostensparende Produktionsweise hin. Die Musik selbst ist ein Reinhören dennoch wert.

In diesem Buch zur gleichnamigen Ausstellung wird Jugend als vielschichtiger Themenkomplex verhandelt. Beeindruckend ist, dass Mitte der 1980er Jahre bereits eine derart differenzierte Sicht auf Jugendlichkeit in (West-)Deutschland möglich war. Der umfangreiche Band (436 Seiten) versammelt viele kurze Texte und unzählige Fotos von diversen Autor:innen und Fotograf:innen. 

„Das Sehen ist der Ausgangspunkt dieses Projekts“ (S. 9), schreiben die Herausgeber bzw. Ausstellungsmacher. Sie betrachten das Phänomen Jugend von mehreren Seiten und vermeiden Bewertungen. „Das Projekt will […] versuchen, dem ,Gegenstand‘ seine ursprüngliche Faszination zu lassen. Ästhetik meint hier im ganz ursprünglichen Sinn: Zeigen und Schauen. Nicht die Geschichte der Jugend(-kulturen) allgemein soll nachgezeichnet werden, sondern ihre ästhetischen Ausdrucksformen, ihre Bedeutung und die Geschichte ihres Gebrauchs. Nur insofern stehen ,Exoten‘ im Mittelpunkt. Um sich aber nicht in der Sinnlichkeit dieser Phänomene zu verlieren, ist es notwendig, den ,normalen Umgang‘ mit den Dingen, den Umgang mit den ,normalen Dingen‘ in die Betrachtung mit hinein zu nehmen. Die ,normalen Jugendlichen‘ wie die ,Erwachsenenwelt‘ werden als Kontrast für eine Darstellung benötigt, die der ästhetischen Abweichung Sinn unterstellt und die subkulturellen Phänomene als einen ästhetischen Reflex, als eine Antwort auf die Notwendigkeiten und spezifischen Problemkonstellationen ihrer Zeit begreift.“ (S. 9)

Das Buch beginnt mit den 1980er Jahren und arbeitet sich von dort Jahrzehnt für Jahrzehnt zurück bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Selbstverständlich spielt Populäre Musik dabei eine wichtige Rolle. Angefangen mit Punk und Techno der achtziger Jahre, über Rock- und Popmusik der siebziger, Beat- und Schlagermusik der sechziger, Rock ’n’ Roll der fünfziger sowie Swingmusik der zwanziger, dreißiger und vierziger Jahre. Selbst Volks- und Arbeiterlieder zwischen 1900 und 1920 werden thematisiert.

Was das Buch sehr schön aufzeigt, ist die enge Verbindung von Musik, bildender Kunst und Mode bzw. Fashion, aber auch die übergeordnete historische Kontextualisierung mit ihren vielfältigen politischen und sozialen Querverweisen kommt keineswegs zu kurz. Oder wie es der Klappentext prägnant zusammenfasst: „… von Wandervögeln und Punks, von Wilden Cliquen und Blumenkindern, von Bündischen und Antiautoritären, und vielem anderen mehr“.

November 2022 – Jazz und alte Musik (Vortrag mit Musikbeispielen, Vinylplatte, Telefunken 1957)

November 2022 – Jazz und alte Musik (Vortrag mit Musikbeispielen, Vinylplatte, Telefunken 1957)

In Zeiten des Internets sind musikbezogene Erklärvideos oder -podcasts omnipräsent. Das war in den 1950er Jahren noch ganz anders. Damals lieferten neben Büchern und Zeitschriften vor allem Radiosendungen musikrelevante Informationen. In einigen wenigen Fällen waren es Schallplatten, auf denen Musik erklärt wurde.

Ein Beispiel dafür ist diese 10-Zoll-Vinylplatte mit dem Titel „Jazz und alte Musik“, die einen Vortrag mit Musikbeispielen enthält. Sie ist 1957 in der Aula der Hamburger Schule am Mittelweg aufgenommen und im selben Jahr auf dem Label Telefunken veröffentlicht worden. Die beiden Vortragenden sind der Jazzjournalist/-publizist Joachim-Ernst Berendt und der Musikwissenschaftler Dr. Joachim Tröller, ein Experte für Alte Musik. Die Musikbeispiele stammen vom Wolfgang Lauth Quartett, einem Jazzquartett um den Pianisten Wolfgang Lauth, mit Werner Pöhlert an der halbakustischen E-Gitarre, Peter Trunk am Kontrabass und Joe Hackbarth am Schlagzeug. Eine namenlose „Schülerin der Musikhochschule Mannheim“ liefert die improvisierten Cembalo-Passagen.

Die Live-Aufnahme bietet „mit ihren knapp 40 Minuten einen Ausschnitt aus einer zweistündigen Veranstaltung“, bei der auch „Lichtbilder“ gezeigt wurden, welche auf der Platte aber selbstverständlich nicht zu sehen sind. Mit dieser Veranstaltung tourten die beiden Vortragenden und die Musiker:in damals durch deutsche Universitäten und Schulen – und zwar mit der Intention, sowohl Jazz als auch alte Musik (zu der Zeit noch klein geschrieben) der Bevölkerung näher zu bringen. Freilich standen die Gemeinsamkeiten der beiden Musiktraditionen dabei im Vordergrund: Improvisation, Bassmotivik, geistlich-weltliche Volksmelodien, durchgehender Rhythmus, tonale Kolorierungspraxis etc.

Allerdings legen die beiden Vortragenden Wert darauf, dass es nicht darum gehe, die jeweils andere Musiktradition mit dem Aufzeigen der Parallelen zu rechtfertigen oder künstlerisch aufzuwerten. Vielmehr sollen musikhistorische und musikanalytische Fakten geliefert werden, um ein besseres Verständnis von Jazz sowie alter Musik zu befördern. 
Das Wolfgang Lauth Quartett spielt fünf Stücke, die man heutzutage dem sogenannten Cool Jazz zuordnen würde, darunter zwei Kompositionen von Wolfgang Lauth selbst sowie jeweils eine von Fats Waller, Meade Lux Lewis und John Lewis. Neben den kurzen Passagen, in denen die Cembalo-Studentin die Generalbass-Spielpraxis demonstriert, wird auch ein Hörbeispiel präsentiert, das einen Mitschnitt aus dem Gottesdienst einer afro-amerikanischen Gemeinde in Harlem/New York erklingen lässt.

Der gesamte Vortrag ist im zeittypischen pathetisch-übertonten Sprechstil der 1950er Jahre gehalten und verwendet viele Male das N-Wort, um die afro-amerikanischen Anteile der Jazztradition zu kontextualisieren. Das mag in unseren Ohren unangemessen klingen, entsprach jedoch dem Zeitgeist und lässt an keiner Stelle abwertendes bzw. rassistisches Gedankengut erkennen. Im Gegenteil: Es geht gerade darum, die Bedeutung des Beitrags von Afro-Amerikaner:innen für die Entwicklung des Jazz zu würdigen. Insofern handelt es sich bei diesem hörenswerten Zeitdokument um ein frühes Beispiel für sogenannte interkulturelle Musikvermittlung.

Oktober 2022 – Frank Wonneberg: „Red Zappa. 1967–1993. On Vinyl Behind the Iron Curtain. Frank Zappa and the Mothers of Invention. A Real Discography“ (Limitierter Fake-Kunst-Kalender, Eigenverlag: 2019, Serie Z, Nr. 43/100)

Oktober 2022 – Frank Wonneberg: „Red Zappa. 1967–1993. On Vinyl Behind the Iron Curtain. Frank Zappa and the Mothers of Invention. A Real Discography“ (Limitierter Fake-Kunst-Kalender, Eigenverlag: 2019, Serie Z, Nr. 43/100)

Frank Wonneberg bewegt sich seit Jahrzehnten zwischen den Künsten Musik, Graphik und Literatur. Aus einer ostdeutschen Musikerfamilie stammend erlernte er zunächst das Handwerk des Schriftsetzers, studierte dann Musikwissenschaft sowie Kulturgeschichte und arbeitete viele Jahre als Graphiker in der Verlagswelt, wo er Zeitschriften mitgestaltete, und im Musikbusiness für Plattenlabels, Musikveranstalter sowie Rockbands, für die er Plattencovers und Plakate entwarf. Zwischenzeitlich betrieb er außerdem einen Mailorder für Vinylschallplatten und brachte eine Zeitschrift namens „Living Vinyl“ heraus. Mit seinem „Vinyl-Lexikon“ trat er im Jahr 2000 erstmals als Buchautor in Erscheinung. Es folgten weitere überarbeitete Auflagen seines Schallplatten-Standardwerkes sowie das Buch „Grand Zappa“ (2010) über den US-amerikanischen Musiker Frank Zappa (1940–1993).

Im Jahr 2019 publiziert Wonneberg dann einen limitierten Fake-Kunst-Kalender, der sich ebenfalls mit Frank Zappa auseinandersetzt. Darin bildet er die Covers von Vinylplatten ab, die der sagenumwobene Musiker angeblich hinter dem „Eisernen Vorhang“ veröffentlichen konnte. Wonneberg fabuliert von „unbekannten Tonträgern aus dem ehemaligen Ostblock“ bzw. von „raren Lizenzausgaben kommunistischer Schallplattenfirmen“, die in einem mysteriösen Pappkarton aus dem Nachlass des schweizerischen Sammlers Beat Rupp verpackt gewesen und im Archiv der Varèse-Zappa-Gesellschaft in Basel gelagert worden seien. Wonneberg habe 2018 das Archiv besucht und dabei diese Platten zufällig entdeckt.

Die fiktive Story ist im Kalender ausgeführt und mit allerlei Details gespickt, welche sie realistisch erscheinen lassen. Dennoch handelt es sich um ein amüsantes Spiel mit der Wahrheit, das allerdings Eingeweihte und Zappa-Kenner als Fantasie bzw. Sammler-Traum des Künstlers entlarven können. Mit einem neorealistischen Ansatz „faksimiliert“ Wonneberg „ein knappes Dutzend überaus seltener […] Langspielplatten sowie eine Single“. Neben dem jeweiligen Frontcover wird auch die A-Seite des Tonträgers gezeigt. Die Bildunterschriften beinhalten Angaben zum Erscheinungsjahr, der Katalognummer, zum Ursprungsland und der Plattenfirma in der jeweiligen Landessprache. Zudem gibt es die Matrizennummer, die Angaben zur Originalaufzeichnung bzw. zum Lack-Umschnitt, zum Hersteller, zur Quelle der Tonaufzeichnung, zum Medien-Format, zur Vinylqualität, Grammatur und zum Prädikat aus Sicht des Sammlers. Alles erfunden natürlich!

Angeblich seien die abgebildeten Zappa-Platten in Albanien, Bulgarien, China, Kuba, der Tschechoslowakei, in Ostdeutschland, Ungarn, Nordkorea, Polen, Rumänien, der Sowjetunion und in Jugoslawien erschienen. Entsprechende Monopol-Labels wie Amiga, Supraphon oder Balkanton hätten die Vinyls mit staatlicher Genehmigung unters Volk gebracht. Und tatsächlich wirkt die Illusion durch Wonnebergs täuschend echte Nachbildungen der Label-Designs und -Ästhetiken. Nur Muttersprachler bzw. Fachleute erkennen kleine Fehlerchen bei den landestypischen Schreibweisen. 
Da Frank Zappa mehr als zwölf Alben veröffentlicht hat, musste Wonneberg eine Auswahl treffen, die einen Querschnitt durch Zappas Werk liefert. In jedem Falle ist das Original wiederzuerkennen, wenngleich es verfremdet dargestellt ist. Hier paart sich gelungenes Kunsthandwerk, Sachkenntnis und verschmitzter Humor. Eine Freude – nicht nur, aber vor allem für Zappa-Fans.

September 2022 – Stephan Heimbecher: "Maxell Mini-Lexikon Rock, Pop, HipHop & Co" (Sonderausgabe für die Maxell Deutschland GmbH in Meerbusch, München: Compact Verlag 1999)

September 2022 – Stephan Heimbecher: "Maxell Mini-Lexikon Rock, Pop, HipHop & Co" (Sonderausgabe für die Maxell Deutschland GmbH in Meerbusch, München: Compact Verlag 1999)

Beurteile niemals ein Buch nach seinem Einband. Oder: Never judge a book by its cover. Mit diesem internationalen Sprichwort im Hinterkopf soll dieses Mal ein Blick in ein kleinformatiges Werbe- bzw. Kundengeschenk der Firma Maxell gewagt werden. Das weltweit operierende Unternehmen hat seinen Hauptsitz in Japan und diverse Niederlassungen im Ausland, unter anderem in Deutschland. Zu den Produktlinien zähl(t)en Batterien und Speichermedien wie Kassetten, Tonbänder, Disketten, Videobänder, CD- und DVD-Rohlinge, aber auch iPod-Zubehör sowie Fernbedienungen, Mikrofone, Kopfhörer, Soundbars und Beamer.

Offenbar hat Maxell vor der Jahrtausendwende den deutschen Compact Verlag damit beauftragt, ein außergewöhnliches Präsent für Kunden und Geschäftspartner im deutschsprachigen Raum zu produzieren, das handlich ist und Fakten zur Populären Musik in geraffter Form bereithält. Auf immerhin 255 Seiten werden Musiker:innen und Bands von ABBA bis ZZ Top aufgelistet und mit kurzen Einträgen beschrieben. Dazwischen finden sich prägnante Informationen zu musikalischen Termini, bspw. zu Begriffen wie „a cappella“ oder „Disco“. Querverweise ordnen zudem einzelne Künstler:innen entsprechenden Bands zu, bspw. Kurt Cobain zu Nirvana oder Steve Nicks zu Fleetwood Mac.

Stilistisch hält das Büchlein, was es verspricht: Es behandelt den Mainstream-Rock und Pop der 1960er bis 1990er Jahre und wartet darüber hinaus auf mit vereinzelten Einträgen zu Hip-Hop-Künstler:innen wie Grandmaster Flash and the Furious Five, Salt'n'Pepa oder Run D.M.C. Besonders häufig vertreten sind Künstler:innen, die in den 1990er Jahren die Charts dominiert haben. Wie üblich in derartigen Lexika, werden in erster Linie US-amerikanische und britische Artists vorgestellt. Man findet jedoch auch Einträge zu deutschen Musiker:innen und Formationen, bspw. zu Nena, Udo Lindenberg oder den Fantastischen Vier.

Obwohl man beim Durchblättern auf viele berühmte Namen stößt, lassen sich hin und wieder auch einige weniger bekannte Sänger:innen oder Gruppen (wieder-)entdecken. Können Sie sich bspw. noch an Pat Benatar erinnern? Dazu ist nachzulesen: "Pat Benatar (Patricia Andrzejewski, * 10.1.52) startete 1975 zunächst als Cabaretperformerin, bevor sie 1978 auf Rock umstellte. Fortan lieferte die Sängerin mit der angerauhten [sic!] Stimme mit Songs wie Fire And Ice (1981), Shadows Of The Night (1982) und Love Is A Battlefield (1984) zahlreiche Hits ab" (S. 25).

Das Cover des Miniatur-Lexikons ist eine graphische Katastrophe und nichts für Leute mit Sehschwäche (man kann nur vermuten, welche Band und welcher Solo-Gitarrist darauf abgebildet sind). Zudem ist die Schreibweise des Buchtitels grammatisch falsch. Auch der Text selbst weist einige orthographische Fehler auf (vergleiche das Zitat oben) – und das, obwohl drei Redakteure namentlich angegeben sind. Ein liebloses Erscheinungsbild also, hinter dem sich aber ein erstaunlich informationsdichtes Nachschlagewerk(chen) verbirgt, das nur zwei Daumen breit und hoch ist.

August 2022 – Peter Sempel: „Nina Hagen. Punk + Glory“ (DVD, CreArtive Film, Neuer Director’s Cut 2005)

August 2022 – Peter Sempel: „Nina Hagen. Punk + Glory“ (DVD, CreArtive Film, Neuer Director’s Cut 2005)

Wer eine konventionelle Musik-Dokumentation im Stile einer Künstlerinnen-Biografie erwartet, wird von diesem selbstbetitelten „Musikfilm“ enttäuscht sein. Die aus der DDR stammende Musikerin Nina Hagen, die heute weltweite Verehrung genießt, wird vielmehr in avantgardistischen Bewegtbildern präsentiert. Der australisch-deutsche Filmemacher Peter Sempel veröffentlichte sein experimentelles „Portrait in Collageform“ (so der Hüllentext) erstmals 1999. Im Jahr 2005 hat er dann einen neuen Director’s Cut herausgebracht, um den es an dieser Stelle geht. 

Der Film beginnt damit, die Vielseitigkeit der Künstlerin herauszustellen. Nina Hagen singt traditionelle indische Ragas, italienische Opernarien und französische Chansons. Neben ihrer Muttersprache Deutsch spricht sie über weite Strecken auf Englisch in die Kamera. Das polyglotte Setting wird durch Szenen in New York, Paris, Hamburg und Delhi verstärkt, um nur einige Drehorte zu nennen. Über einen Zeitraum von 20 Jahren hat der Filmemacher die berühmte Exzentrikerin begleitet, die sich immerzu im Performance-Modus zu befinden scheint.

Ständig schneidet sie Grimassen, spielt mit den vielfältigen Ausdrucksweisen ihres beeindruckenden Stimmumfangs, läuft ziellos hin und her, äußert esoterische Sentenzen wie „I’m jewish-indian-buddha-voodoo“ und bewegt sich lasziv in figurbetonten Outfits. Der Umstand, dass sie im Verlauf des Films mit schwarzen, grünen, blonden, roten sowie rosafarbenen Haaren bzw. Perücken zu sehen ist und dabei stets stark geschminkt und schmuckbehangen auftritt, unterstreicht ihr permanentes Bedürfnis nach Rollenwechseln und großen theatralischen Gesten.

Obwohl sie oft und lange in Nahaufnahmen zu beobachten ist und sie dabei einigermaßen frei und ungezwungen wirkt, hat man dennoch den Eindruck, nicht hinter ihre Fassade blicken zu können, also eigentlich wenig über sie zu erfahren. Es hat den Anschein, als wäre sie in ihrem neurotischen Image gefangen, als müsste sie es um jeden Preis bedienen, um interessant zu bleiben, ungreifbar, entrückt. Selbst in vermeintlich intimen Szenen, in denen sie sich verletzlich gibt, etwa wenn sie auf dem Boden sitzend Schuberts Ave Maria unbegleitet und mit zittriger Stimme ins Dunkel haucht, ist ihr unbedingter Wille zur Inszenierung spürbar. Auf die Frage des Filmemachers, was denn ihre Lieblingsoper sei, antwortet sie nur lakonisch: „The opera of my life“.

Zwar ist Nina Hagen für ihren opernhaften Gesang bekannt, gleichwohl hat sie sich den Nimbus der „Godmother of Punk“ erworben. Auf diesen globalen Ruhm scheint der Titel des Films anzuspielen („Punk + Glory“). Es kommen einige Stars aus der internationalen Musik- und Filmwelt zu Wort, die sie rühmen. Neben Udo Lindenberg und Otto Waalkes sind beispielsweise Wim Wenders, Anthony Kiedis (Sänger der Red Hot Chili Peppers) oder Lemmy Kilmister (Frontmann von Motörhead) voll des Lobes für die unangepasste Frau, welche sie für ihre kompromisslose Kunst und ihr gesellschaftspolitisches Engagement schätzen.

Auffällig ist jedoch, dass sie allesamt ihre Attraktivität erwähnen. Offenbart sich hier eventuell ein männlicher Blick auf die „feministische Revolutionärin“ (Udo Lindenberg), nicht zuletzt weil ein Mann den Film gemacht hat? Vielleicht in Teilen. Vordergründig bleibt aber der Respekt für ihre Bühnenpräsenz, ihren Witz und ihre spielerische Art im Umgang mit Geschlechterrollen. Insofern verwundert es nicht, dass auch einige begeisterte O-Töne aus der transsexuellen Community zu vernehmen sind.

Der Film verzichtet auf ein genuines Narrativ, einen roten Faden. Es bleibt der/dem Zuschauer:in überlassen, sich eine Meinung zu bilden. So gibt es zum Beispiel einige Szenen, in denen Nina Hagen in ihrem privaten Zuhause mit ihren Kindern Cosma Shiva und Otis zu erleben ist. Dabei irritiert es mitunter wie sie vor der Kamera posiert, während im Hintergrund ihre Kinder gelangweilt warten müssen. Die Ästhetik des Films ist jedoch auf kurze persönliche Eindrücke ausgerichtet, die angereichert werden mit Landschafts- und Straßenszenen, Bildern von Tieren und vorbeiziehenden Menschen. Es geht um das Dazwischen, um Übergänge und Uneindeutiges. Wenn man es sich einfach machen will, könnte man behaupten, es sei eben ein Kunstfilm. Er endet jedenfalls mit dem vielsagenden Ausspruch seiner Protagonistin: „Ich benutz' das alles als Spiel“.

Nichtsdestotrotz erfährt man Etwas über Nina Hagen, was eine herkömmliche Dokumentation in dieser Form wahrscheinlich nicht herausgearbeitet hätte. Nämlich wie breit das Spektrum ihres künstlerischen Schaffens tatsächlich ist; dass Nina Hagen weit mehr ist als eine Vorreiterin der Punk-Bewegung. Dezente Anspielungen auf singende Schauspielerinnen wie Zarah Leander, Marlene Dietrich und ihre eigene Mutter Eva-Maria Hagen stehen neben musikstilistischen Verweisen auf Funk, Disco, Rap und Oper sowie auf die gesamte Rockgeschichte. Der minimalistische Soundtrack des Films bildet den Klangteppich für viele extravagante Beispiele aus Nina Hagens musikalischem Œuvre, die ergänzt werden durch nicht weniger spezielle Musikeinspielungen von Bands wie den Einstürzenden Neubauten, Yello oder Tulip, die singende Tulpe.

Juli 2022 – Black Europe. The Sounds and Images of Black People in Europe pre-1927

Juli 2022 – Black Europe. The Sounds and Images of Black People in Europe pre-1927

Black Europe. The Sounds and Images of Black People in Europe pre-1927, Compilation Box, Deluxe Edition mit 2 Hardcover-Büchern und 45 CDs, hrsg. von Jeffrey Green, Rainer E. Lotz & Howard Rye, unter Mitwirkung diverser Autor:innen, limitierte Auflage: Nr. 251 von 500, Holste: Bear Family Records 2013.

In ihrem Umfang und der inhaltlichen Tiefe ist „Black Europe“ ein ganz besonderes Highlight der Sammlung des Klaus-Kuhnke-Instituts.

Rainer E. Lotz, ein in Fachkreisen bekannter deutscher Musiksammler und Privatforscher, hat gemeinsam mit einigen Mitstreiter:innen eine Deluxe Box mit 600 Buchseiten (2 x 300), 1244 Tracks auf 45 CDs (Gesamtspielzeit knapp 57 Stunden) sowie 2000 farbige Abbildungen (Fotografien, Plakate und Filmszenen) zusammengetragen und ausgewertet. Das in Holste-Oldendorf ansässige Plattenlabel Bear Family Records hat die extrem aufwändig gestaltete Sammler:innen-Box herausgebracht – mit einer limitierten Stückzahl von nur 500 Exemplaren.

Zielgruppe für diese Kollektion, die sieben Kilogramm wiegt und für knapp 2000 Euro erhältlich ist, sind große Bibliotheken, Archive und Museen. Da alle Texte in englischer Sprache verfasst wurden, richtet sich „Black Europe“ von vornherein an ein internationales Fachpublikum.

Neben der Materialdichte besteht die Besonderheit dieser kuratierten Box in der historischen Eingrenzung auf die Zeit vor 1927. Die berechtigte Frage, warum gerade diese zeitliche Beschränkung, ist schnell beantwortet: Um 1927 herum wurde das vollelektrische Mikrofon erfunden, mit dem fortan die meisten Schallaufnahmen gemacht worden.

Inhaltlich beschäftigt sich dieses Pionierprojekt mit Schwarzen Menschen, deren Einfluss auf die Entwicklung der modernen Massenmedien (vor allem in Europa) lange Zeit übersehen worden ist. Dabei waren sie von Anfang an maßgeblich beteiligt bei der Entstehung der Tonträger- und Film-Industrie und wurde auf Phonographen-Zylindern, Grammophon-Platten und in den ersten Filmen (sowie in den noch jungen Printmedien) vermarktet. „Black Europe“ zeigt anhand von mehr als 100 individuellen Biographien wie Schwarze Menschen um die Jahrhundertwende die Anfänge des europäischen Entertainments geprägt haben und mit welchen rassistischen Vorurteilen sie konfrontiert waren.

Weitere Infos zur Box finden Sie hier.  

Juni 2022 – Trilok Gurtu: „Usfret“ (Vinyl-Platte, CMP Records: 1988)

Juni 2022 – Trilok Gurtu: „Usfret“ (Vinyl-Platte, CMP Records: 1988)

Der indischstämmige Perkussionist, Schlagzeuger und Sänger Trilok Gurtu lebt seit vielen Jahren in Hamburg. Sein musikalischer Lebensweg hat ihn jedoch um den gesamten Erdball geführt. Unzählige Kooperationen mit Künstler:innen wie Angelique Kidjo, Salif Keita, Neneh Cherry, John McLaughlin, Joe Zawinul, Pat Metheny, Dave Holland oder Jan Garbarek belegen seine stilistische Offenheit.

1988 veröffentlichte er seine Debüt-Platte „Usfret“ beim deutschen Label Creative Music Productions (CMP) Records. Dort definierte er erstmals seine Version von sogenannter World Music. Neben seiner Mutter Shobha Gurtu, einer bekannten Sängerin der klassischen indischen Musiktradition, wirken auch große Namen aus dem Jazzkontext mit, die sich ebenfalls mit regionalen Spielarten von World Music auseinandergesetzt haben – wie z. B. der Trompeter Don Cherry, der Gitarrist Ralph Towner oder der Bassist Jonas Hellborg.

Starken Einfluss auf die Platte hatte der aus Bremen stammende Produzent Walter Quintus, der die Aufnahmen musikalisch mitgestaltete. Das markante Plattencover bzw. Artwork verantwortete der Hamburger Graphikdesigner Ulf von Kanitz, der zum Haus-und-Hof-Graphiker des CMP-Labels avancierte. Bei CMP veröffentlichten viele (internationale) Jazzstars wie Joachim Kühn, Christof Lauer, Dave Liebman, Richie Beirach oder der Cream-Bassist Jack Bruce.