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Mittwoch | 21. Februar 2024

Wir trauern um Andreas Herzau

Der Fotograf verstarb am 6. Februar 2024
© Andreas Herzau

Wir sind traurig und betroffen über den Tod unseres geschätzten Kollegen 

Andreas Herzau
*29. Mai 1962        †6. Februar 2024

In den frühen Morgenstunden des 6. Februar 2024 verstarb Andreas Herzau an einer schweren Krankheit. Er war einer der wichtigsten deutschen Dokumentarfotografen und hat mit seiner Arbeit wesentliche Akzente gesetzt, zahlreiche Bücher veröffentlicht, international ausgestellt und war vor allem in den vergangenen 20 Jahren engagiert in der Ausbildung an mehreren Hochschulen tätig, an der HfK Bremen als Lehrbeauftragter im WS 2004/05, WS 2012/13, WS 2013/14, WS 2017/2018 sowie als Gastprofessor in den Jahren 2021 und 2022.

Nach einer Ausbildung zum Typografen arbeitete Andreas Herzau als Schriftsetzer. 1986 absolvierte er ein Volontariat bei der Hamburger Zeitschrift „Konkret“, wurde schreibender Redakteur, wandte sich aber schon bald der Fotografie zu. 1992 war er Mitbegründer der Fotografengruppe „Signum“ und seit 1999 Mitglied der Agentur „Laif“. Weltweit veröffentlichte Herzau in Magazinen und Zeitungen und sorgte mit fotoessayistischen Großstadtporträts etwa von Moskau, Istanbul, Kalkutta und Mumbai für Aufsehen. In seiner Auseinandersetzung mit vertrauten Bildstereotypen erkundete er New York vor wie auch nach dem 11. September 2001 und versuchte die Unterschiede fotografisch zu erspüren.

Herzau lebte lange im Hamburger Schanzenviertel und dokumentierte dort 2017 die Gewalt der Proteste rund um den G20-Gipfel. Er war ein explizit politischer Fotograf, aber eben nicht an vordergründiger Aktualität interessiert, sondern an den Folgen der Politik für die Menschen. Er befasste sich mit Migration, mit dem Bürgerkrieg in Sierra Leone, Liberia und dem Völkermord in Ruanda. Herzau porträtierte auch den Körperkult auf der Loveparade, bei Naziaufmärschen und in Diskotheken. Im Band „Deutsch Land“ suchte er in seinem Heimatland der Nachwendezeit nach „kleinen Dingen, die die Kraft haben, vom großen Ganzen zu erzählen“. Zuletzt wurde Herzau für „die beste politische Fotografie des Jahres 2017“ ausgezeichnet. Es zeigt Polizisten bei der Stürmung eines Hauses im Hamburger Schanzenviertel. 

Einem breiten Publikum bekannt ist Andreas Herzau dank seiner Langzeitbeobachtung von Angela Merkel. Zehn Jahre begleitete der Fotograf sie dafür und dokumentierte ihren Alltag insbesondere in Wahlkampfzeiten. Der Antrieb dafür sei weniger politische Sympathie gewesen, sagte er, als das Interesse, wie man einer Person gerecht werden kann, die durch ein inflationäres Maß an Bildern täglich aufs Neue unkenntlich wird.

Der langjährige HfK-Professor für Fotografie Peter Bialobrzeski betont in einem Interview des Deutschlandfunks, sein Freund und Kollege habe Fotografie als kulturelle Praxis gelebt, sei einen eigenen Weg zwischen Kunst und Journalismus gegangen. Er habe sich stets ausführlich umgeschaut, Zeichen gesehen, versucht Formen zu finden und dann in Serien gedacht, die er in Büchern zusammengestellt hat, welche ohne explizite Bildtexte auskamen, weil sich die Fotos filmgleich aufeinander beziehen. Wobei Herzau laut Bialobrzeski nie Einzelgänger gewesen sei, er habe das informelle miteinander Reden, Debattieren geliebt, um gemeinsam mit Kolleg:innen etwas realisieren zu können.

Um das Œuvre des Verstorbenen will sich nun die Hamburger Stiftung F. C. Gundlach kümmern – und erinnert in einem Nachruf an die zentralen Merkmale von Herzaus Arbeit: „Mit seinen Fotografien war er stets dicht an den Menschen dran, den Bildgegenstand dabei oft dynamisch im Anschnitt ins Bild setzend ... Für ihn war Fotografie eine Form der Recherche und Anteilnahme.“

Vielleicht beispielhaft für Herzaus politischen und humanistischen Ansatz ist sein Buch „Liberia“. Medien wollten Ende des letzten Jahrhunderts vor allem Bilder des Bürgerkriegs in Westafrika. Bilder des Schreckens. Derart gebrieft reiste Herzau dorthin. Irgendwann habe er aber begonnen, diesen „kolonialen Blick eines weißen Mannes auf ein Elendsland“ zu hinterfragen. Ergebnis der Selbstprüfung war 2020 eine erneute Reise nach Liberia, um Szenen vom Alltagsleben der Menschen aufzunehmen. Während seiner Zeit an der HfK Bremen haben wir mit ihm darüber gesprochen – und möchten den Text nachstehend noch einmal veröffentlichen:

„Am Anfang stand da die Frage, ob die Tatsache, dass meine fotografische Handschrift oft als sehr eigen und erkennbar beschrieben wird, gut ist, oder ein Zeichen dafür, dass mir nichts Neues mehr einfällt. Letztlich war das ja auch meine Motivation für das Liberia-Projekt, wo ich erstmals der Farbfotografie einen sehr viel größeren Raum gegeben, das Bildformat geändert und während der Entwicklung des Buches nach neueren Ansätzen gesucht habe, ohne mein vorheriges Schaffen zu verleugnen.“ So erklärt Bildjournalist und Fotokünstler Andreas Herzau, derzeit HfK-Gastprofessor für „Fotografie - narrativ und experimentell“, in einem Interview des Blogs Fotogloria die Ausgangsidee seines gerade erschienen Buches „Liberia“. Es handele sich um die Auseinandersetzung „mit meinem eigenen nordeuropäischen, westlichen Blick auf Afrika und der Versuch eines Paradigmenwechsels“. 

Liberia ist eines der ärmsten Länder der Welt, etwa 80 Prozent der vier Millionen Einwohner haben keine regelmäßige Arbeit, und stand auf der Horrorliste des Zeitgeschehens weit oben – als Synonym für den Vorhof zur Hölle. Berichte über Gräueltaten der War Lords und ihrer Milizen gingen um die Welt. Von 1989 bis 2003 starben etwa eine Viertel Million Menschen in zwei Bürgerkriegen, eine ganze Generation im Krieg groß geworden. Andreas Herzau hat das Geschehen und die Flüchtlingsbewegungen damals vor Ort als Reporter erlebt und dokumentiert – heute sagt er: „Unter dem Impetus und gleichzeitigen Deckmantel der humanitären Aufklärung reisen wir Fotograf*innen in diese Länder und berichten über Gegebenheiten, die eigentlich grundsätzlich bekannt sind." 

Als in den Jahren 2005/06 ein erstaunlicher Aufarbeitungs- und Demokratisierungsprozess Liberia einsetzte, wunderte sich der Fotograf, dass diese Entwicklungen in der westlichen Welt auf weit weniger Interesse stießen als die Sensationen des Negativen, die er und seine Kollegen einst für die globalen Medien festzuhalten hatten. Das europäische Bild von Afrika sei sehr durch den Fokus auf Kriege und Krisen geprägt, so Herzau. Wenn sich die Situation in einem der Länder zum Guten wenden würden, berichte niemand mehr darüber. Das aber wollte Herzau, fuhr in der Friedenszeit 2019 nochmal dorthin und startete den Versuch, in ein Land fernab des westlichen Wohlstandes als Fotograf kein Vampir des Elends zu sein, der Armut ästhetisiert, sondern Menschen porträtiert, die sich von ihrem Alltag nicht erniedrigt fühlen, sondern beispielsweise mit Optimismus reagieren. Wobei die Frage auftaucht, ob nicht Bebilderungen der Arm-aber-lebensfreudig-These in Bezug auf Afrikaner nicht erneut ein Klischee ist.

 Es geht in „Liberia“ also nicht um die US-fixierte Elite, die das Land seit der Gründung als Siedlerstaat für aus den USA nach Afrika zurückgeschickte Sklaven im 19. Jahrhundert dominiert, sondern die einheimische Mehrheit und die Fortschritte der politischen und ökonomischen Entwicklung  – sowie um die Suche nach einer Bildersprache für Herzaus Interesse am Positiven. Inspiration dafür war der Text „How to write about Africa?“ des kenianischen Autors Binyavanga Wainaina, der dem Band in Deutsch und Englisch vorangestellt ist. In einer Rezension von Gerhard Clausing im Photobook Journal heißt es, der Essay „legt einen erstaunlichen Katalog all der Klischees über Afrika offen, die durch Herzaus hier präsentierte Arbeit demontiert werden.“ Entstanden sei ein Buch mit farbenfrohen Bildern, die die Liberianer in ihrem Alltag, auf der Arbeit, beim Feiern und bei Freizeitvergnügen zeige, auch lokale Bräuche und Kleidungsstile abbilde und dabei andeute, „dass das Leben mit viel Freude abläuft“. Man dürfe geradezu dabei sein, verstehe Herzau es doch „besonders gut, uns ungewöhnliche Blickwinkel zu vermitteln, die beim Betrachter ein Gefühl der Teilnahme erzeugen.“

Andreas Herzau: Liberia 

146 Seiten Fotografien in Schwarz-Weiß und Farbe 

Flexibles Leinen, Fadenheftung 

ISBN 978-3-03850-079-7 

EUR 32,00