Review
Dienstag | 14. Mai 2019

Mit dem „Moment des Ekels“ die Gesellschaft wachrütteln

Albert Mondschein über die künstlerisch-politischen Aktionen des Zentrums für Politische Schönheit
Zu Gast bei der Vortragsreihe Freie Kunst am 9. Mai 2019: Albert Mondschein vom Zentrum für Politische Schönheit © Laura Baumann

Albert Mondschein vom „Zentrum für Politische Schönheit“ (ZPS) stellte am Donnerstag, den 9. Mai 2019 im Auditorium des Speichers XI das Künstlerkollektiv und dessen mitunter hochumstrittene Aktionen der letzten Jahre vor. Eingeladen zur Vortragsreihe Freie Kunst über die Klasse Koryps/Löffler, sprach Mondschein zum Thema „Ziviler Ungehorsam – In den Augen des Zentrums für Politische Schönheit“.

Etwa 150 interessierte Gäste waren der Einladung gefolgt und waren gespannt auf die Ausführungen des „Außenministers“ des ZPS – Studierende und Externe, Jung und Alt. Der unter Pseudonym auftretende Albert Mondschein lebt seit sechs Jahren in Deutschland. Er flüchtete aus Syrien, das er zu Beginn des Vortrags „Wonderland“ nennt, „weil wir dort richtige Wunder erleben – im positiven sowie im negativen Sinne.“ Zum Selbstverständnis des Künstlerkollektivs ZPS gehört ihre Auffassung, man sei ein Bund an „aggressiven Humanist*innen“ – keine Politiker*innen, Satiriker*innen oder Aktivist*innen. Mit ihren künstlerisch-politischen Aktionen wollen sie auf Missstände hinweisen und bedienen sich dafür des wirkungsvollsten zur Verfügung stehenden Elements: des Ekels! Die grausame Realität soll eine Horrorvorstellung werden. Ihre rußverschmierten Gesichter sind ein Hinweis auf die verbrannten Hoffnungen in Europa.

Mondschein gab einen Einblick in die Aktionen des ZPS aus den letzten Jahren.
Bei „Kinder|transport|hilfe“ lehnte sich das ZPS an die Kinderlandverschickung zur Zeit des Zweiten Weltkrieges an. Auf diese Weise konnte seinerzeit eine Vielzahl an Kindern gerettet werden. Das ZPS adaptierte dies 2014 für den Krieg in Syrien: Es gestaltete ein vermeintlich in Aleppo hängendes Großplakat mit dem Konterfei der damaligen deutschen Familienministerin Manuela Schwesig und eine Webseite, die das Layout derjenigen des Familienministeriums kopierte. Darauf sollte es – fingiert natürlich – die Möglichkeit geben, aus Syrien geflüchteten Kinder in Deutschland ein Heim zu geben. Nach großem öffentlichem Zuspruch zur Aktion stieg die Zahl der Aufnahme von Geflüchteten in der Bundesrepublik von 20.000 auf 30.000.
„Erster Europäischer Mauerfall“ war als Guerilla-Aktion angelegt. ZPS-Mitglieder nahmen die sinnbildlich für an der Berliner Mauer Verstorbene am Denkmal ab und brachten diese an die EU-Außengrenzen nach Bulgarien.
Durch „Die Toten kommen“ sollte 2015 auf die Unmengen an ertrinkenden Flüchtlingen aufmerksam gemacht werden. Das ZPS bemühte sich, anonyme Ertrunkene zu identifizieren, was bei Zehnen gelang. In Anlehnung an das Vorgehen bei im Ausland verstorbenen Bundesbürger*innen sollten diese per Transport nach Berlin gebracht werden. Zu einem öffentlichen „Schaubegräbnis“ war die gesamte Bundesregierung eingeladen, die der Veranstaltung jedoch fernblieb. Dadurch griff Plan B, der „Marsch der Entschlossenen“ : 5.000 Mobilisierte machten sich auf nach Berlin zum Kanzler*innenamt und hoben dort symbolische Gräber auf der Wiese aus, stellten Kreuze und Blumen auf – und verwüsteteten damit das gesamte Grün. Und dies drei Tage vor dem Besuch der englischen Königin in Berlin! Für das ZPS ebenso erstaunlich wie bezeichnend, war trotz der sonst sprichwörtlichen deutschen Bürokratie-Trägheit der Rasen bis zum Eintreffen von Elizabeth II. wiederhergestellt.
Das Jahr 2016 begann mit „Flüchtlinge fressen – Not und Spiele“. Hier lieferte Papst Franziskus die Vorlage: Er war auf die griechische Insel Lesbos gereist und hatte in seinem Flugzeug zwölf Geflüchtete in den Vatikan mitgenommen, denen er allerdings nicht dauerhaftes Bleiberecht gewährte, sondern dem italienischen Staat übergab. Dies empfand das ZPS als nachahmenswert. Es startete einen Spendenaufruf, um § 63 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz von 2005 greifen zu lassen, der den Nachzug von Familienmitgliedern regelt und Beförderungsunternehmen verpflichtet, für diesen zu sorgen. 115 Flüchtlinge sollten zum 28. Juni 2016 nach Berlin ausgeflogen werden und dort mit ihren nach Deutschland geflüchteten Familienmitgliedern vereint werden. Um Nachdruck zu erzeugen, stellte man vor dem Berlin Gorki Theater eine Arena mit vier libyschen Tigern aufgestellt. Verzweifelten Flüchtlingen wurde damit – fingiert natürlich – die Möglichkeit gegeben, mit dem Freitod auf das Drama ihrer Familien hinzuweisen. Sieben meldeten sich. Das ZPS hatte sogar einen Beförderungsvertrag mit Air Berlin abgeschlossen, der jedoch einen Tag vor der Durchführung des geplanten Transports widerrufen wurde. Der Bundestag stimmte mit Nein gegen den vom ZPS eingebrachten Vorschlag auf Aussetzung der bürokratischen Vorgänge und die Bitte um schnelle Hilfe. Diese Aktion stieß eine bundesweite Debatte an.
In den Folgejahren entfernte sich das ZPS mit seinen Aktionen mehr vom Themenfeld „Flüchtlinge“. In „Scholl 2017 – Von der Vergangenheit lernen“ dichtete das ZPS der Bayerischen Staatsregierung den titelgebenden Schüler*innenwettbewerb an. Dieser sollte animieren, Flugblätter zu entwerfen, in die entsprechende Diktatur zu reisen und gegen diese zu verbreiten. Da die beiden vermeintlichen Gewinner*innen nicht ausreisen durften, machte sich ein ZPS-Mitarbeiter in die Türkei auf und stellte einen Drucker so am geöffneten Fenster seines Hotelzimmers auf, dass dieser nach Abreise mit dem automatischen Verteilen begann. Auf den angrenzenden Platz segelten Flugblätter gegen Erdoğan, die allerdings zunächst als Umweltverschmutzung, später als terroristischer Angriff gewertet wurden. Ein Gewinnspiel im Berliner Regierungsviertel sollte unter dem Titel „Willst Du dieses Auto gewinnen? Töte diesen Diktator“ werben für das ZPS-geborene „Bundesamt für Diktatorenbeseitigung“.
In den letzten Wochen wurde, auch ohne neue Aktion, viel über das ZPS in den Medien veröffentlicht. Grund dafür ist die nach 16-monatiger Untersuchung fallen gelassene Anschuldigung, das ZPS sei eine „kriminelle Vereinigung“. Angestoßen war dies von Björn Höcke, AfD-Fraktionsvorsitzender im Thüringer Landtag. Auf dessen unsägliche Aussage aus dem Jahr 2017, Deutschland sei das einzige Land, dass sich ein „Schandmal“ in die eigene Hauptstadt stelle, antwortete das ZPS mit seiner letzten Aktion, dem „Holocaust Mahnmal Bornhagen“: Die Gruppe mietete das Grundstück neben Höckes Anwesen und bauten darauf das Denkmal für die ermordeten Jüd*innen Europas teilweise nach. Mit den bekannten Folgen: Drei Tage nach Enthüllung sprach Höcke von einer terroristischen Vereinigung und von „Nazi-Methoden“ (!). Zudem reichte die NPD Klage gegen das ZPS ein – Begründung: Man verwende unrechtmäßig das eigene Logo. Auf Nachfrage aus dem Publikum ist es Mondschein wichtig, klar zu stellen, dass das vom ZPS errichtete Mahnmal kein ungenehmigtes Plagiat sei, sondern dass sie sich von Lea Rosh, Kuratoriums-Vizevorsitzende der für den Bau des Berliner Originals zuständigen Stiftung, Rat und Unterstützung geholt hätten.

Im Anschluss an seine Ausführungen gab Mondschein der versammelten Besucher*innenschaft noch die Möglichkeit, Fragen zu stellen und zu diskutieren. Dies wurde rege genutzt. Auf Nachfrage zum konkreten Selbstverständnis des ZPS antworte Mondschein sinngemäß: Die Freiheit der Kunst ist neben der unantastbaren Würde des Menschen das höchste Gut, das es immer zu verteidigen gelte! Jede Aktion der etwa 60 ZPS-Mitglieder, die in den letzten Jahren durchgeführt wurde – ob nun der Hinweis auf das Sterben im Mittelmeer und das Flüchtlingsdrama bzw. das Warnen vor einer drohenden rechten Gefahr in Deutschland –, sollte die Grenzen der Macht austesten, die Bevölkerung über eine Aktion auf den Straßen aufrütteln und konkret die Bundesregierung zum Handeln anregen. Man wolle jungen Menschen ein Beispiel geben, dem diese nacheifern könnten.
Die Grenzen von Kunst und Politik sollen verschmolzen und die großen gesellschaftlichen Fragen/Probleme in die Öffentlichkeit getragen werden. Das ZPS halte sich dabei, beraten von Jurist*innen, stets an die Gesetze und stehe offen für seine Aktionen ein. Mondschein und seine Mitstreiter*innen treten unmaskiert auf und halten dies für die einzig vertretbare Art, sich politisch aufrecht einzusetzen.

Weitere Informationen zum Zentrum für Politische Schönheit finden Sie auf der offiziellen Webseite hier.

„Sorgen Sie für Stress – Unterstützen Sie uns jetzt“ zps-spenden.de