Bundesverdienstkreuz für Younghi Pagh-Paan
Prof. Jörg Birkenkötter würdigt die Komponistin
Younghi Pagh-Paan war 1994 bis 2011 Professorin für Komposition an der Hochschule für Künste (HfK) Bremen und ist Gründerin des Ateliers Neue Musik, das sie zu einer wichtigen Werkstatt für zeitgenössische Musik entwickelt hat. Am 29. Oktober 2025 wurde die Komponistin mit dem Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland für ihr außergewöhnliches Lebenswerk geehrt. Bürgermeister Andreas Bovenschulte überreichte ihr die Auszeichnung im Kaminsaal des Bremer Rathauses. Dort hieß es, die Verdienste von Professorin Pagh-Paan lägen nicht nur in ihrem künstlerischen Rang und ihren innovativen Beiträgen zur Entwicklung der Neuen Musik, sondern auch in ihrem Engagement für den interkulturellen Dialog und die Förderung des künstlerischen Nachwuchses. Sie setze sich zudem für eine weibliche Perspektive auf Geschichte und Gesellschaft ein und sei eine prägende Persönlichkeit im koreanisch-deutschen Kulturaustausch. Zur Verleihung war auch der Botschafter der Republik Korea, Lim Sang-beom, gekommen.
Bürgermeister Andreas Bovenschulte: „Wer an Neue Musik denkt, der kommt an Professorin Younghi Pagh-Paan nicht vorbei. Sie hat dieses Genre geprägt wie kaum eine andere. Unermüdlich hat sie sich auch für den musikalischen Nachwuchs eingesetzt. Das von ihr gegründete ,Atelier Neue Musik‘ an der Hochschule für Künste strahlt weit über Bremen hinaus."
Geboren 1945 in Südkorea wuchs Younghi Pagh-Paan sowohl mit westlicher als auch traditioneller koreanischer Musik auf, die früh ihren musikalischen Horizont prägten. Von 1965 bis 1971 studierte sie an der Seoul National University, bis sie 1974 durch ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) nach Deutschland kam. Sie setzte ihr Studium an der Musikhochschule Freiburg bei renommierten Lehrenden wie Klaus Huber, Brian Ferneyhough, Peter Förtig und Edith Picht-Axenfeld fort und schloss es 1979 erfolgreich ab.
Die politischen Unruhen in Seoul 1968 prägten die junge Musikstudentin nachhaltig. Für sie wurde klar, dass fortschrittliches Komponieren in Korea nicht durch die bloße Nachahmung westlicher Vorbilder gelingen kann, sondern dass eine neue koreanische Musik ihre eigenen kulturellen Wurzeln berücksichtigen muss.
Seit den 1970er Jahren widmet sich Younghi Pagh-Paan mit großer künstlerischer Kraft der Verbindung dieser musikalischen Welten. International bekannt wurde sie bei den Donaueschinger Musiktagen 1980. Ihre Werke, die das Wesen der koreanischen Musikkultur mit differenzierten westlichen Kompositionstechniken neu interpretieren, fanden zunehmend Beachtung bei bedeutenden Festivals Neuer Musik in ganz Europa.
Für ihr Lebenswerk erhielt Professorin Pagh-Paan zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen, darunter den UNESCO-Rostrum-Preis in Paris (1979) und den „Bogwan“-Orden der südkoreanischen Regierung (2018). Die Freie Hansestadt Bremen ehrte sie 2010 mit der Medaille für Kunst und Wissenschaft, und 2020 wurde ihr der Große Kunstpreis Berlin der Akademie der Künste verliehen.
Im Jahr 2013 übergab Professorin Pagh-Paan ihre kompositorischen Dokumente der Paul Sacher Stiftung in Basel, wo sie dauerhaft archiviert und der internationalen Musikforschung zugänglich gemacht werden. Derzeit bereitet sie die Gründung einer eigenen Stiftung vor, die sich der Förderung zeitgenössischer Musik mit besonderem Fokus auf die jüngeren Generationen widmen wird.
Würdigung
Younghi Pagh-Paans Nachfolger an der HfK Bremen, Prof. Jörg Birkenkötter, würdigt die Komponistin wie folgt:
„Mit großer Freude und aufrichtiger Bewunderung gratuliere ich meiner verehrten Kollegin und Vorgängerin Prof. Younghi Pagh-Paan zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes. Diese hohe Auszeichnung würdigt ein Lebenswerk, das in seiner Konsequenz, seiner poetischen Tiefe und seiner menschlich-ethischen Haltung weit über die Grenzen bloßen musikalischen Schaffens hinausreicht.
Younghi Pagh-Paan ist eine Künstlerin von seltener Integrität. Ihr Werk, das von früh an eine unverwechselbare Handschrift trägt, vereint unterschiedliche Welten: die klangliche und spirituelle Kultur Koreas mit der expressiven Kraft der europäischen Avantgarde. In ihrer Musik begegnen sich Stille und Energie, Meditation und Aufschrei, Formstrenge und emotionale Freiheit. Sie versteht Komposition nicht als handwerkliche, satztechnische Übung, sondern als eine Form des Denkens, Fühlens und Hörens, die in die Tiefe des Menschseins führt. Ihre Werke sprechen von Verletzlichkeit und Widerstand, von Erinnerung und Verantwortung – Themen, die sie mit größter künstlerischer Sensibilität und innerer Wahrhaftigkeit gestaltet.
Als Younghi Pagh-Paan 1994 den Ruf an die Hochschule für Künste Bremen annahm, begann ein neues Kapitel für die zeitgenössische Musik in unserer Stadt. Mit der Gründung des Atelier Neue Musik schuf sie einen Ort, an dem sich künstlerische Neugier, interkultureller Austausch und unbedingte Ernsthaftigkeit in der Auseinandersetzung mit Musik im gesellschaftlichen Kontext verbinden. Unter ihrer Leitung entwickelte sich das Atelier zu einem zentralen Forum für die Musik unserer Zeit – offen für neue Ideen, radikal im Denken, geprägt von einem tiefen Respekt vor der schöpferischen Verantwortung jedes Einzelnen und dabei frei von jeglichem Dogmatismus.
Ihre Lehre war geprägt von einer einzigartigen Mischung aus Strenge und Mitgefühl. Sie forderte viel, aber sie forderte nie etwas, das sie nicht selbst in höchstem Maße lebte: Genauigkeit, Hingabe, Wahrhaftigkeit. Studierende, die das Glück hatten, bei ihr zu lernen, berichten immer wieder von einer Erfahrung, die weit über das Handwerk des Komponierens hinausging. Sie lehrte das Hören als eine ethische Praxis – als die Fähigkeit, aufrichtig zuzuhören, dem Anderen im Klang zu begegnen und in der Musik die Verantwortung für das eigene Tun zu erkennen.
So wurde Younghi Pagh-Paan nicht nur zu einer künstlerischen Leitfigur, sondern auch zu einer moralischen Instanz innerhalb der Hochschule. Ihr Wirken hat die HfK Bremen tief geprägt und weit über die Region hinaus bekannt gemacht. Viele ihrer ehemaligen Studierenden sind heute selbst prägende Stimmen der internationalen Musikszene – ein Zeugnis der nachhaltigen Kraft ihrer Lehre.
Neben ihrem pädagogischen Wirken steht ihr bedeutendes kompositorisches Schaffen, das seit Jahrzehnten auf den großen Bühnen der Welt präsent ist – bei den Donaueschinger Musiktagen, den Wittener Tagen für neue Kammermusik, bei Festivals in Berlin, Paris, Wien, Seoul und anderswo. Ihre Musik wird geschätzt wegen ihrer Unbedingtheit, ihrer Konzentration, ihrer spirituellen Tiefe. Sie ist nie gefällig, nie vordergründig laut – und doch von einer Eindringlichkeit, die niemanden unberührt lässt.
Die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes würdigt nicht nur eine herausragende Komponistin, sondern auch eine Pionierin, die durch ihr Beispiel vielen anderen den Weg bereitet hat. Für die Hochschule für Künste Bremen ist diese Ehrung zugleich Anlass zu Dankbarkeit und Stolz: Dankbarkeit für die Zeit ihres Wirkens, für die unzähligen Impulse, die sie uns hinterlassen hat, und für das bleibende geistige Erbe, das sie in unserem Haus begründet hat.
Als ihr Nachfolger empfinde ich tiefe Demut und Dank dafür, in ihrer Tradition weiterarbeiten zu dürfen. Ihre Haltung – das kompromisslose Streben nach Wahrhaftigkeit, das Vertrauen in die Kraft der Kunst und das Bewusstsein für ihre gesellschaftliche Verantwortung – bleibt für mich und viele Kolleginnen und Kollegen ein Kompass in unserem eigenen Schaffen.
Im Namen der Hochschule für Künste Bremen gratuliere ich ihr von ganzem Herzen zu dieser verdienten Auszeichnung.“