Die Videoinstallation In the animal’s skin von Yuliya Tsviatkova wurde mit dem renommierten Karin Hollweg Preis ausgezeichnet. Die prämierte Arbeit ist Teil der diesjährigen Meisterschüler:innen-Ausstellung what is that invisible thing your arm is resting on, die vom 28. Juni bis 10. August 2025 in der Weserburg Museum für moderne Kunst zu sehen ist.
Die Ausstellung präsentiert ausschließlich neue Werke von insgesamt zwölf Künstler:innen. Gezeigt wird ein vielfältiges Spektrum zeitbasierter Kunstformen und installativer Arbeiten, die unterschiedliche Medien miteinander verbinden. Dabei werden Raum und Gesellschaft nicht als bloße Kulissen verstanden, sondern als aktive Orte der Auseinandersetzung mit Fragen von Wahrnehmung, Halt und Orientierung.
Kuratiert wurde die Ausstellung von Julian Lautenbach.
Karin Hollweg Preis
Der Karin Hollweg Preis zählt zu den bedeutendsten und höchstdotierten Auszeichnungen an deutschen Kunsthochschulen. Seit 2007 wird er dank der großzügigen Förderung durch die Karin und Uwe Hollweg Stiftung jährlich an eine herausragende künstlerische Position im Rahmen der Meisterschüler:innen-Ausstellung der Hochschule für Künste Bremen vergeben.
Der Preis ist mit insgesamt 18.000 Euro dotiert. Die Hälfte der Summe geht als Preisgeld direkt an die Preisträgerin bzw. den Preisträger. Die andere Hälfte ist zweckgebunden für die Realisierung einer Einzelausstellung, die in Zusammenarbeit mit einer Ausstellungseinrichtung geplant wird. Darüber hinaus erhält das Ausstellungshaus der Meisterschüler:innen-Ausstellung einen weiteren Förderbetrag in Höhe von 2.000 Euro.
Reden bei der Preisverleihung
Die feierliche Preisverleihung fand am Donnerstag, den 3. Juli, in der Weserburg Museum für moderne Kunst statt. Eröffnet wurde sie von Janneke de Vries, Direktorin des Hauses, die in ihrer Ansprache die hohe Qualität der präsentierten Arbeiten und die Relevanz der Ausstellung betonte. Sie unterstrich, wie bedeutsam es ist, dass die dritte Ebene des Museums – das sogenannte „Filetstück“ – in diesem Jahr von zwölf starken künstlerischen Positionen bespielt wird, die eine inhaltlich und formal dichte Ausstellung realisieren. Im Zusammenhang mit dem Karin Hollweg-Preis hob sie hervor, dass dieser nicht nur durch seine finanzielle Dotierung überzeugt, sondern vor allem durch die langfristige Unterstützung junger Künstler:innen, die durch professionelle Ausstellungskontexte und strukturelle Vernetzung innerhalb der Kunstlandschaft gestärkt werden.
Prof. Ingo Vetter, HfK-Professor für Bildhauerei mit klassischen Werkstoffen, unterstrich in seiner Rede den besonderen Stellenwert dieser Ausstellung für die Beteiligten: Für viele der Meisterschüler:innen sei dies die erste institutionelle Gruppenausstellung unter professionellen Bedingungen – ein „Reality-Check“, wie Vetter es formulierte. Das Studium an der HfK sei auf die Entwicklung einer eigenständigen künstlerischen Haltung ausgerichtet – in der Ausstellung manifestiere sich erstmals, wie diese Haltungen im Dialog mit einem Ausstellungshaus, einem Kurator und einem Publikum bestehen. Die Qualität und Dichte der Arbeiten beeindruckten ihn so sehr, dass er die Ausstellung bereits mehrfach besucht habe – und bei jedem Rundgang neue Bezüge, Spannungen und Verknüpfungen zwischen den Werken entdecke.
Den offiziellen Höhepunkt bildete die Verlesung des Jurystatements durch David Bartusch, Vorsitzender des Freundeskreises der Hochschule für Künste Bremen e. V. Mit seiner Ansprache gab er die Entscheidung der Jury bekannt: Die diesjährige Preisträgerin des Karin Hollweg Preises ist Yuliya Tsviatkova mit ihrer Videoinstallation In the animal’s skin.
In the animal’s skin
Der Film rückt den Białowieża-Wald in den Mittelpunkt, ein ökologisch geschütztes Gebiet an der belarussisch-polnischen Grenze, das durch den Bau eines befestigten Grenzzauns zu einem Ort politischer Kontrolle und Isolation geworden ist. Der Film folgt den Spuren des Unsichtbaren: Geflüchteten, die diesen Weg nahmen und im Wald starben. Im nahegelegenen, tatarischen Dorf Bohoniki bestattet die tatarische Gemeinschaft diese Menschen. Stille Gesten der Fürsorge, die in starkem Kontrast zur politischen Vernachlässigung und Feindseligkeit stehen.
Ein vielschichtiger Zugang zur Natur als politischem Raum
Die Künstlerin versteht Natur nicht als bloßes Setting, sondern als eigenständiges Subjekt – mit eigener Sprache, Geschichte und Widerstandskraft. Auch in In the animal’s skin spiegelt sich diese Perspektive wider: „Natur ist immer politisch beeinflusst“, sagt sie. Ihr Ansatz verweigert sich einfachen Deutungsmustern. Stattdessen sucht sie nach einem erzählerischen Zugang, der sowohl menschliche als auch nicht-menschliche Akteur:innen einbezieht.
Ausgangspunkt der Arbeit war die humanitäre Krise an der belarussisch-polnischen Grenze, und die Frage, wie sich die komplexen, vielfach überlagerten Perspektiven von Menschen, Tieren und Landschaft miteinander verbinden lassen. Ein Schlüsselmoment war ein Traum, in dem sie sich in ein Tier verwandelte, die Grenze überquerte und ihre Großmutter traf. Dieses Traumbild wurde zur metaphorischen Grundlage der filmischen Erzählung – als eine Form, jenseits linearer Logiken zu erzählen, wo sich „Menschen, Tiere, Wälder, die Lebenden und die Toten“ begegnen können.
Persönliche Erfahrungen fließen unweigerlich in ihre Arbeit ein. Seit den politischen Repressionen infolge der Proteste von 2020 kann die Künstlerin nicht mehr nach Belarus zurückkehren. In ihrer Rede zur Preisverleihung wies sie auf die Zerbrechlichkeit von Sprache und Gehör hin und darauf, dass demokratische Freiheitsräume selbst in scheinbar stabilen Gesellschaften erodieren können. Die Arbeit In the animal’s skin ist damit auch eine kritische Reflexion über das Verhältnis von Macht, Sichtbarkeit und Empathie und ein Plädoyer für ein aufmerksames, grenzüberschreitendes Erzählen.
Jurybegründung
Ihre Videoinstallation In the animal’s skin verbindet auf eindrückliche Weise Politik mit Poesie und hat die Jury mit ihrer subtilen Komposition und der großen Präzision im Zusammenspiel von Bild, Sound und Text überzeugt. Das Werk thematisiert den von Polen errichteten Grenzzaun an der Grenze zu Belarus. Dieser soll Migranten den Weg nach Europa versperren und verläuft quer durch den Białowieża-Urwald. Er stellt auch eine Barriere für alles andere Leben dar, und die Künstlerin verwebt diese Tatsache mit einer unterschwellig erzählten persönlichen Geschichte. Im Laufe der 14 Minuten wird jede noch so kurze Sequenz im Video aufgelöst, wodurch die Arbeit bei aller Kürze eine große Spannung aufbaut. Auf dem Boden unter der Projektionsfläche befindet sich eine schematische Darstellung des Urwaldes. Die Fläche markiert den Zaun, und das Video zeigt ohne Drama das Monster, das dort errichtet wurde.
Jury
Zur Jury 2025 gehören: Wolfgang Hainke (Künstler, Bremen), Dr. Andreas Kreul (Karin und Uwe Hollweg Stiftung), Prof. Dr. Christoph Grunenberg (Direktor Kunsthalle Bremen), Ingo Clauß (Kurator Weserburg Museum für moderne Kunst), Dr. Arie Hartog (Direktor Gerhard Marcks Haus), Ingmar Lähnemann (Leiter Städtische Galerie Bremen), Dr. Frank Schmidt (Direktor Museen Böttcherstraße), Dr. Matilda Felix (Leiterin Städtische Galerie Delmenhorst), Marie Oucherif (Artistic Director Künstler:innenhaus Bremen).
Beisitzer:innen: David Bartusch, Vorsitzender des Freundeskreises der Hochschule für Künste Bremen e. V. und Natascha Sadr Haghighian, Professorin an der Hochschule für Künste Bremen
Kurzbiografie
Yuliya Tsviatkova, geboren 1993 in Belarus, lebt und arbeitet derzeit in Bremen. 2015 erwarb sie ihr Diplom in Biologie an der Mogilev State University A.A. Kuleshov (Belarus). Anschließend begann sie ein Masterstudium in Marine Biology an der Universität Bremen und wechselte 2018 in den Studiengang Freie Kunst an der Hochschule für Künste Bremen. 2024 erhielt sie ihr Diplom in der Klasse von Prof. Dr. Rosa Barba, die später von James Richards weitergeführt wurde. Bei ihm absolvierte sie auch ihr Meisterschüler:innen-Studium.
Eindrücke aus der Ausstellung
Eine Kooperation der Hochschule für Künste Bremen und der Weserburg Museum für moderne Kunst
Gefördert von