Forschungsobjekt „Ruhnama“ - HfK-Absolventen wollen Bedeutung und Herrschaftsfunktion eines der bizarrsten Dokumente der Gegenwart untersuchen: die „Heilige Schrift Ruhnama“ des turkmenischen Diktators Saparmjrat Nijazow.
Anna Maria Müller und Frederick Hüttemann, beide Absolventen der Hochschule für Künste im Studiengang Integriertes Design, werden mit dem H. A. Bockmeyer-Reisestipendium 2014 ausgezeichnet. HfK-Rektor Prof. Herbert Grüner verlieh die Auszeichnung heute (8.2.2014) im Rahmen der Eröffnung der Hochschultage.
Mit dem von Heinz Arnold Bockmeyer, dem großzügigen Freund und Mäzen der HfK, begründeten Reisestipendium ermöglicht die Bockmeyer-Stiftung alljährlich einem Studierenden oder Absolventen der HfK eine Reise zur Realisierung eines künstlerischen Projektes.
Das Stipendium 2014 wird für ein Projekt vergeben, das sich einem der bizarrsten Dokumente der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit widmet: Der „Ruhnama“, dem „Heiligen Buch“ – angeblich - aus der Feder des früheren turkmenischen Despoten und selbst ernannten „Vater aller Turkmenen“ Saparmjrat Nijazow. Die Ruhnama war Teil des absurden Personenkults um den turkmenischen Diktator. Sie war Pflichtlektüre in Schulen, Hochschulen und für Staatsdiener; detaillierte Kenntnisse waren selbst bei Fahrprüfungen zwingend erforderlich. 2004 wurde das Buch, eingewickelt in eine Staatsflagge, ins Weltall geschossen worden, um auf ewig die Erde zu umkreisen. Allerdings wird es voraussichtlich im Jahr 2132 in der Erdatmosphäre verglühen. Möglich und international verbreitet wurde die Ruhnama auch dank der Unterstützung deutscher und internationaler Konzerne, die sich dadurch Verbesserungen der Handelsbeziehungen zu Turkmenistan und erleichterte Markzugänge erhofften.
Für Menschenrechtsorganisationen liegt Turkmenistan bis heute weltweit mit an der Spitze totalitärer Regime. Auf der Rangliste der Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen rangiert Turkmenistan auf dem drittletzten Platz. Zensur ist weit verbreitet, es gibt keinen freien Zugang zu Informationen, die politische Opposition wird unterdrückt, Menschenrechtler und kritische Journalisten werden inhaftiert und gefoltert. Trotz des Reichtums an Bodenschätzen verarmt die Bevölkerung und wird von Bildungsmöglichkeiten abgeschnitten.
Die Preisträger des Bockmeyer Reisestipendiums 2014, Anna Maria Müller und Frederick Hüttemann, haben sich vorgenommen, die Funktion der „Ruhnma“ „als kultisches Objekt und Instrument der Unterdrückung“ vor Ort zu untersuchen. Diese Idee hat die Mitglieder der Jury Dr. Klaus Martin (H.A. Bockmeyer-Stiftung),
Sabine Maria Schmidt (Kunsthalle Bremen),
Prof. Markus Löffler und Prof. Dennis Paul (HfK Bremen)
sehr überzeugt. Das Stipendium hilft den Preisträgern nunmehr, die geplante Recherche-Reise anzutreten.
In der Begründung der Jury heißt es: „Anna Maria Müller und Frederick Hüttemann widmen sich in ihrem Konzept diesem ‚schwarzen Loch‘ der Unkenntnis und einem Buch der Bücher: die ‚Ruhnama‘. Die Schrift entstammt angeblich der Feder des ehemaligen turkmenischen Staats- und Regierungschefs Saparmyrat Nyýazow, erschien 2001, der zweite Teil 2004. Die deutschen Übersetzungen förderten deutsche Firmen, die sich auch wirtschaftlich in Turkmenistan engagieren. Entstehen soll ein inhaltlich relevantes und gestalterisch ausgearbeitetes Buch über Turkmenistan, dem intensive Recherchen vor ab und vor Ort vorausgehen.
Die Jury würdigte das stimmige Konzept, die Komplexität des Themas und die Repräsentanz der Fragestellungen angesichts der Umbrüche in zahlreichen Gesellschaften, die sich und ihre Werte aufgegeben haben bzw. neuen Formen totalitärer Regime ausgesetzt sind. Das Konzept lasse zudem interdisziplinäre Ansätze erwarten, da geplant ist, auch andere Autoren und Stimmen einzubeziehen.