Wissenschaftliches Forschungsprojekt ermöglicht ersten Neu- und Nachbau historischer Barockinstrumente.
Organist! – Welch eine Berufung. Welch ein Beruf. Was für ein reiches Leben an der Seite der Königin der Instrumente, verbunden im Geist und durch die Epochen mit dem musikalischen Kosmos der Großen von Sweelinck bis Buxtehude, von Bach bis Franck, von Reger bis Ligeti.
Und doch: Auch in einem Organistenleben gab (und gibt) es die Tücken und Widrigkeiten des Alltags, Hindernisse und Hürden auf dem Weg zu Meisterschaft und großer Musik.
Üben! Üben! Üben. Das galt zu Barockzeiten ebenso wie heute. Und mehr noch als heute: Üben, Üben, Üben in ungeheizten und klammen Kirchen, Blasebälge wollten getreten sein, die der Orgel den Atem einhauchen, während eisige Kälte den des Organisten weiß und die Finger über schwarzen und weißen Tasten steif werden lässt. Nein, Organist in der Vorweihnachtszeit – das konnte – zumal zu Lebzeiten von Bach und Buxtehude – auch ein hartes Los sein. Kalte Füße – obwohl die zwingend gebraucht werden. Anders als bei Spinett oder auch Cembalo bauen sie buchstäblich das musikalische Fundament jedes großen Orgelwerks: “Das Pedal ist ein wesentliches Stück der Orgel; durch dieses allein wird sie über all andere Instrumente erhoben, indem das Prachtvolle, Große und Majestätische derselben davon abhängt“, schrieb der Bach-Biograph Johannes Nikolaus Forkel 1902. Und schon Bachs Zeitgenossen rühmten staunend dessen stupende Virtuosität nicht nur auf den Manualen sondern – noch verblüffender – auch auf dem Pedal: “Mit seinen zweenen Füssen konnte er auf dem Pedale solche Sätze ausführen, die manchem nicht ungeschikten Clavieristen mit fünf Fingern zu machen sauer genug werden würden” schrieb Lorentz Mitzler voller Bewunderung über den Großmeister der Orgel. – Aber mit schlotternden Eisbeinen? Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt auf der Empore? Auch für einen Bach gab es mutmaßlich Grenzen des Mach- und Zumutbaren.
Wo aber Gefahr ist, wächst bekanntlich das Rettende auch. Für leidgeprüfte und frostgeplagte Organisten des 17. und 18. Jahrhunderts hieß die Lösung: Pedal-Clavichord. Mit dem Pedal-Clavichord stand ein wohn- oder musikzimmertaugliches Instrument als Heim- oder Übungsinstrument zur Verfügung, das aber auch als eigenständiges Instrument im 17. und 18 Jahrhundert seinen Platz hatte: "Was du uff dem clavichordio lernest, das hast du dann gut und leicht spilen zu lernen uff der Orgeln", schrieb schon Sebastian Virdung im 16. Jahrhundert.
Während aus dieser Hoch- und Blütezeit des europäischen und insbesondere deutschen Orgelbaus viele Instrumente bis heute erhalten und liebevoll restauriert sind, sind heute lediglich noch zwei deutsche Pedal-Clavichords aus dem 18. Jahrhundert vollständig erhalten. Eines befindet sich im Leipziger Instrumentenmuseum und wurde von Johan Gerstenberg gebaut. Das zweite steht heute in der Geburtsstadt Johann Sebastian Bachs in der Instrumentensammlung des Bachhauses in Eisenach.
Beide Instrumente wurden in einem ambitionierten Projekt am Göteborg Organ Art Center (GOArt) unter der Leitung von Prof. Dr. Joel Speerstra (Göteburg) und den HfK-Professoren Hans Davidsson und Harald Vogel (Bremen) sorgfältig erforscht und dokumentiert. Die Früchte dieser Arbeit erntet jetzt die Hochschule für Künste Bremen: Sie erhält als wertvolle Bereicherung ihrer Instrumentensammlung und als attraktives Angebot an ihre Studierenden ein neues, eigenes Pedal-Clavichord, das auf der Grundlage der Forschungsergebnisse über die historischen Originalinstrumente am GOArt entwickelt und gebaut wurde. Das neue Instrumentder HfK verfügt über zwei Manuale mit einem Tonumfang von C – e’’’. Das Pedal reicht vom C bis zum d’. Es wird nicht nur – insbesondere im Bereich der Alten Musik – die Orgelausbildung an der HfK wertvoll ergänzen sondern künftig auch das öffentliche Konzertangebot der HfK bereichern.
Die Hochschule für Künste will ihr neues Instrument in seiner neuen Heimat begrüßen
Einweihungskonzert für das neue Pedal-Clavichord am Mittwoch, 27. Oktober 2010, 20 Uhr, Dechanatstraße 13-15, Konzertsaal mit Werken von D. Buxtehude, J. S. Bach, C.P.E. Bach, J.G. Müthel Joel Speerstra, Pedal-Clavichord, Eintritt frei!
Das Einweihungskonzert ist verbunden mit einem öffentlichen wissenschaftlichen Symposium zur Geschichte, Bedeutung und Rekonstruktion des Pedal-Clavichords im Konzertsaal der HfK.
Programm des Symposiums am Mittwoch, 27. Oktober, 13 bis 18 Uhr im Konzertsaal, Hochschule für Künste Bremen
13 Uhr: Eröffnung und Grußwort: Hans Davidsson (Hochschule für Künste Bremen)
Dokumentation und Rekonstruktion der zwei erhaltenen deutschen Pedal-Clavichorde aus dem 18. Jh. (Instrumentenmuseum Leipzig und Bachhaus Eisenach)
Rekonstruktion des Pedal-Clavichordes aus dem Bachhaus in Eisenach
Joel Speerstra (GOArt in Schweden)
Observationen aus der Dokumentationsarbeit und Vergleiche zu anderen deutschen Clavichorden
Dietrich Hein (Instrumentenbauer historischer Tasteninstrumente)
Diskussion und Vergleich der beiden Instrumente
Dietrich Hein und Joel Speerstra
II. Repertoire, Improvisation uns pädagogische Erfahrungen
Johann Sebastian Bachs Acht kleine Preludien und Fugen – Repertoire für Pedal-Clavichord
Harald Vogel (Hochschule für Künste Bremen)
Improvisation und Pedal-Clavichord
Edoardo Bellotti (Hochschule für Künste Bremen)
Pädagogische Erfahrungen mit der Anwendung eines Pedal-Clavichordes im Orgelunterricht
Ulrika Davidsson (Hochschule für Künste Bremen/Eastman School of Music) und Joel Speerstra (GOArt)
Diskussion: Harald Vogel, Edoardo Bellotti, Ulrika Davidsson,Joel Speerstra
III. Konzert mit Werken von Johann Sebastian Bach, Carl Philip Emanuel Bach, Wilhelm Friedemann Bach u.a,
Studenten der Hochschule für Künste